zurück zur Suche

Krankenhaus Moabit

Turmstraße 21

KRANKENHAUS MOABIT
Seinen Ruf als Reformkrankenhaus
und als Stätte richtungsweisender
medizinischer Entwicklungen
begründeten viele jüdische Ärzte
die bis zu ihrer Vertreibung durch die
Nationalsozialisten hier wirkten
Erinnert sei an

HANS-GERHARD ARONSOHN • CARL BENDA • ERNST BERLA
MORITZ BORCHARDT • JULIAN CASPER
LILLY EHRENFRIED • KURT GOLDSTEIN • ERNST HAASE
WALTER HAHN • MARTIN JACOBY • RUDOLF JAFFÉ
ERNST JOEL • SIEGBERT JOSEPH • LEOPOLD KAUFER
GEORG KLEMPERER • MAX LEFFKOWITZ • HEINZ LEWINSKI
ERICH LOEWENTHAL • MAX MARCUS • ERICH NATHORFF
HERTHA NATHORFF-EINSTEIN • ERWIN RABAU
PAUL RADT • LYDIA RABINOWITSCH-KEMPNER

Die aus zwei Teilen bestehende weißgerahmte Berliner Gedenktafel wurde zum 125-jährigen Bestehen des Krankenhauses, das 1872 als Barackenlazarett für Cholerakranke gegründet wurde, am 30. Mai 1997 an einem Pfeiler in Haus M, Eingang B enthüllt. Inzwischen sind beide Tafeln im Durchgang zwischen den Eingängen B und K an der Wand eines Warteraum angebracht. Das Krankenhaus ist seit dem 1.11.2001 geschlossen. Auf dem Gelände befindet sich das Gesundheits-und Sozialzentrum Moabit.

Dr. Hans-Gerhard Aronsohn, (Röbel/Mecklenburg 10.4.1905 - Chicago 15.8.1982), Chirurg.

Prof. Dr. Carl Benda (Berlin 30.12.1857 - Turin 24.5.1932). Der Pathologe entdeckte bei seinen Forschungen als Mitochondrien bezeichnete an Stoffwechselfunktionen beteiligte fadenförmige Zellstrukturen. Er arbeitete am Urbankrankenhaus, ab 1908 leitete er das Pathologische Institut in Moabit, wo er auch nach seiner Pensionierung 1925 ein Arbeitszimmer behielt.

Dr. Ernst Berla (Hamm 11.3.1901 - Hamm 1.2.1962). Der Chirurg war von 1925 bis zu seiner zwangsweisen Entlassung Anfang Mai 1933 in Moabit tätig. Er arbeitete anschließend in Mailand, bis er 1939 auch Italien verlassen mußte und nach Palästina ging. Bereits 1950 kehrte er nach Deutschland zurück, konnte jedoch beruflich nicht mehr Fuß fassen.

Geheimrat Prof. Dr. Moritz Borchardt (Berlin 6.1.1868 - Buenos Aires 6.1.1948). Die Vorfahren des Chirurgen gehörten zu den ersten Familien, die sich nach fast 100-jähriger Verbannungszeit für Jüdinnen und Juden aufgrund des am 21.5.1671 von Kurfürst Friedrich Wilhelm (Großer Kurfürst) erlassenen "Edikts wegen auffgenommenen 50. Familien Schutz-Juden, jedoch dass sie keine Synagogen halten" in Berlin ansiedeln durften. Seit 1906 leitete er die Chirurgie an der heutigen Charité Campus Virchow Klinikum, ab 1919 die III. Chirurgische Universitätsklinik in Moabit. Er ersann und entwickelte eine Reihe von Operationsgeräten ("Borchardtsche Fräse") und Hilfen für Operierte. 1933 mußte er das Krankenhaus verlassen. Er arbeitete zunächst in der privaten Klinik von Ernst Unger (s.d.), Derfflingerstraße 21, weiter, anschließend in eigener Klinik in der Nassauischen Straße und konnte 1939 aus Nazi-Deutschland entkommen. Seine Wohnung war Dörnbergstraße 6 (eine kurze, seit den 1980er Jahren nicht mehr existierende Verbindung zwischen Lützowufer und Lützowstraße unweit Lützowplatz).

Prof. Dr. Julian Casper (Bromberg/Provinz Posen [Bydgoszcz/Polen] 16.9.1899 - Tel Aviv 20.11.1968). Der Neuropathologe arbeitete seit dem Herbst 1930 in Moabit. Er verließ das Krankenhaus nach der Verhaftung von Kollegen und ging mit seiner Familie im Herbst 1933 nach Palästina. Dort wurde er Leiter des Pathologischen Instituts des Beilinson-Krankenhauses in Tel Aviv und erhielt eine Professur an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sein dortiges Institut ist nach ihm benannt.

Dr. Lilly Ehrenfried (Breslau [Wrocław/Polen] 20.8.1896 - Paris 1.1.1949). Sie widmete sich nach ihrer Ausbildung u.a. am Moabiter Krankenhaus vor allem der Ehe- und Sexualberatung. Der Bezirk Prenzlauer Berg richtete auf ihre Anregung eine entsprechende Beratungsstelle ein und betraute sie mit deren Leitung. Ende März 1933 wurde ihr gekündigt, sie flüchtete aufgrund einer Warnung vor der Verhaftung durch SA am 1.4.1933 in die Schweiz und weiter nach Nizza und Paris. Die deutsche Besatzung überlebte sie nach kurzer Haft im südfranzösischen Internierungslager Gurs mit falschen Papieren und in Verstecken. Sie lebte in Paris, wo sie nach 1945 bis ins hohe Alter als Heilgymnastin tätig war.

Prof. Dr. Kurt Goldstein (Kattowitz [Katowice/Polen] 6.11.1878 - New York 19.9.1965). Neurologe und Psychiater, 1907-1915 tätig an der Psychiatrischen Universitätsklinik Königsberg, anschließend an der Universität Frankfurt/Main. Von 1930-1933 Leitender Arzt der Neurologischen Abteilung in Moabit. Flucht aus Berlin in die Schweiz und weiter nach Holland am 5.4.1933, lebte seit 1935 in den USA, wo er Professuren an der Columbia-Universität und an der Tufts Medical School in Boston/USA innehatte.

Dr. Ernst Haase (Königsberg/Ostpreußen [Kaliningrad/Rußland] 9.5.1894 - Chicago 10.10.1961). Der Neurologe und Psychotherapeut war der Sohn des USPD-Reichstagsabgeordneten und Mitglieds des Rats der Volksbeauftragten von 1918/19 Hugo Haase (Allenstein/Ostpreußen [Olsztyn/Polen] 29.9.1863 - Berlin [nach Mordanschlag] 7.11.1919). Er widmete sich in starkem Maße der Suchtkrankenbehandlung und der Jugendberatung. Deshalb verließ er zum 1.10.1932 das Krankenhaus und übernahm die Leitung der Tiergartener Fürsorge- und Beratungsstelle, die aber schon im Frühjahr 1933 geschlossen wurde. Haase verlor seine Ämter. Im März 1939 emigrierte er nach vorheriger Entziehung der Approbation nach England und weiter nach Chicago, wo er als Nervenarzt tätig war.

Dr. Walter Hahn (20.10.1907 - Ramat Gan/Israel 29.8.1971) arbeitete in Moabit nur knapp ein Jahr bis zu seiner zwangsweisen Entlassung am 1.4.1933. Im Jahr darauf wanderte er nach Palästina aus und ließ sich in Ramat Gan als Praktischer Arzt nieder.

Prof. Dr. Martin Jacoby (28.1.Berlin 1872 - Manchester 10.7.1941). Der Pharmakologe war von 1907 bis zum zwangsweisen "vorläufigen Ruhestand" am 10.11.1933 Leiter des Chemischen Instituts in Moabit, danach übernahm er ehrenamtlich die Leitung des Laboratoriums des Jüdischen Krankenhauses. 1939 konnte er noch nach England ausreisen.

Prof. Dr. Rudolf Jaffé (Berlin 14.10.1885 - Caracas 13.3.1975). Der Pathologe leitete als Nachfolger Profesor Bendas von 1925 bis zu seinem zwangsweisen Ausscheiden 1933 das Pathologische Institut in Moabit. 1935 konnte er nach Caracas auswandern, dort leitete er das Pathologische Institut des Hospitals Vargas und war Professor an der Universität Caracas. Erst als bei einer Paßbeantragung dieser mit einem "J" versehen werden und ihm der zwangsweise Vorname Israel hinzugefügt werden sollte, gab er seine deutsche Staatsangehörigkeit im Sommer 1940 auf. Der Brief, den er dem deutschen Gesandten dazu schrieb, liest sich erschütternd. Er schließt: "In meinem Herzen werde ich stets meinem alten Vaterlande treu bleiben und bleibe im Herzen Deutscher, das kann mir niemand nehmen!"

Dr. Ernst Joel (Berlin 18.1.1893 - Berlin 1929) befaßte sich vorrangig mit Suchtkrankheiten, gründete im Februar 1926 die Tiergartener "Fürsorgestelle für Alkoholkranke und andere Giftsüchtige", deren Leitung er Anfang 1929 an Ernst Haase abgab.

Dr. Siegbert Joseph (Konitz/Westpreußen [Choinice/Polen] 18.7.1894 - KZ Libau 22.12.1944 [Fliegerangriff]). Der in Moabit sehr populäre Gynäkologe und Geburtshelfer mußte das Krankenhaus 1933 verlassen. Er arbeitete noch bis 1939 am Jüdischen Krankenhaus, ging dann nach Riga, wo er nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Besetzung zunächst von den Sowjets interniert wurde. Unter deutscher Besetzung kam er in das Ghetto Riga, später wurde er in das KZ Libau (Liepaja/Lettland) verschleppt, wo er ums Leben kam. Das genaue Todesdatum und die Todesursache sind entnommen Traueranzeigen im Aufbau, 1.3.1946, S. 28.

Prof. Dr. Leopold Kaufer (Virje/Kroatien 7.3.1903 - 25.12.1992). Der Chirurg arbeitete ab Ende 1929 in Moabit und wurde am 2.5.1933 entlassen. Bis 1938 arbeitete er noch in einer Privatklinik in Berlin, bis ihm 1938 die Approbation entzogen wurde. Sein Weg führte ihn 1939 nach Jugoslawien. Dort wurde er festgesetzt und entkam der Deportation in ein deutsches KZ nur knapp durch die Hilfe eines Kollegen. In Bosnien leitete er für die Tito-Partisanen ein Lazarett und blieb nach dem Kriege zunächst als Militärarzt tätig. Von 1962 bis zu seiner Emeritierung 1973 war er Professor für Chirurgie an der Universitätsklinik Sarajevo.

Geheimrat Prof. Dr. Georg Klemperer (Landsberg/Warthe [Gorzów Wlkp./Polen] 10.5.1865 - Boston/USA 1946). Der Internist leitete von 1906-1933 zunächst die II., dann die I. Innere Abteilung in Moabit, seit 1920 war er Direktor der dort angesiedelten IV. Medizinischen Universitätsklinik. 1928-1932 Herausgabe des zehnbändigen Handwörterbuchs "Neue Deutsche Klinik". 1933 mußte er das Krankenhaus verlassen, auch die Herausgabe der von ihm 1899 begründeten Zeitschrift "Therapie der Gegenwart" abgeben. Ende 1935 emigrierte er in die USA. Sein Bruder war der Romanist Victor Klemperer (Landsberg/Warthe [Gorzów Wlkp./Polen] 9.10.1881 - Dresden 11.2.1960), dessen bereits 1946 in der SBZ erschienenen Beobachtungen zur Sprache des NS-Regimes erst 20 Jahre später erstmalig im Westen Deutschlands unter dem Titel "Die unbewältigte Sprache. Aus dem Notizbuch eines Philologen »LTI«" ( Lingua Tertii Imperii, "Sprache des Dritten Reichs") herauskamen und bis heute eher unbeachtet blieben. Beider Cousin war der Komponist und Dirigent Otto Klemperer (Breslau [Wrocław/Polen] 14.[oder 15.]5.1885 - Zürich 6./7.7.1973).

Dr. Max Leffkowitz (Sensburg/Ostpreußen [Mrągowo/Polen] 22.11.1901 - Tel Aviv 30.11.1971). Der Internist arbeitete in Moabit von 1925 bis zu seiner Verhaftung am 3.4.1933. Einen Monat darauf ging er nach Palästina. Dort leitete er ein Krankenhaus in Afula (Galiläa) und ab 1950 die Innere Abteilung des Beilinson-Krankenhauses in Tel Aviv. (Möglicherweise ist dies identisch mit dem gleichnamigen Krankenhaus im nahebei gelegenen Petach Tiqwah, in dem Rabau arbeitete.)

Dr. Heinz Lewinski (Berlin 8.7.1904 - Palästina [Suizid] 9.9.1943). Er arbeitete von 1931 bis zur Entlassung am 1.4.1933 in der Frauenabteilung und flüchtete noch am selben Tag nach Brüssel, im Herbst weiter nach Palästina. Dort konnte er als Arzt nicht Fuß fassen und setzte seinem Leben zehn Jahre später ein Ende.

Dr. Erich Loewenthal (Schneidemühl/Posen [Piła/Polen] 19.1.1905 - North Caulfield/Australien 25.1.1997) arbeitete seit April 1930 als Chrirurg in Moabit. Am 2.5.1933 mußte er das Krankenhaus verlassen, konnte bis 1938 noch in der Praxis von Dr. Borchardt tätig sein. 1939 glückte ihm die Ausreise nach Australien, wo er sein medizinisches Studium wiederholen mußte.

Dr. Max Marcus (Rees/Niederrhein 30.10.1892 - Tel Aviv 17.9.1983). Der Chirurg arbeitete seit 1920 in Moabit, ab Ende 1932 als jüngster Chefarzt Berlins an der II. Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Friedrichshain. Am 29.4.1933 mußte er das Krankenhaus zwangsweise verlassen und ging kurz darauf nach Palästina, ohne den Verlust der Heimat (wie so viele) je wirklich zu verkraften. Marcus "war Chirug und Internist, Philosoph und Kunstsammler".

Dr. Erich Nathorff (Berlin 13.7.1889 - New York 25.6.1954). Der Internist arbeitete von 1919 bis 1926 bei Prof. Klemperer an der IV. Universitätsklinik. 1926 ließ er sich mit eigener Praxis nieder, vier Jahre später wurde er Leiter der Tuberkulosefürsorge in Tiergarten. 1933 wurde ihm diese Funktion wie die Kassenzulassung genommen. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde er einen Monat im KZ Sachsenhausen festgehalten und mißhandelt. Im Frühjahr 1939 glückte ihm zusammen mit seiner Frau die Ausreise über England in die USA. Dort ließ er sich 1941 in New York nieder, wegen eines fehlenden nachzuholenden amerikanischen Examens jedoch als Praktischer Arzt.

Dr. Hertha Nathorff-Einstein (Laupheim/Schwaben 5.6.1895 - New York 10.6.1993) arbeitete von 1921 an für zwei Jahre in Moabit im Rahmen ihrer Ausbildung und lernte dort ihren Mann kennen. Danach war sie Praktische Ärztin in Lichtenberg und wandte sich zunehmend der Familien- und Eheberatung zu. Sie übernahm 1929 die Leitung der neuen Beratungsstelle in Charlottenburg. 1933 wurde sie entlassen und ihr die Kassenzulassung entzogen. In den USA finanzierte sie durch Arbeit als Haushälterin die nachzuholenden Prüfungen ihres Mannes. Auch nach dessen Tod blieb ihr eine Tätigkeit als Ärztin verwehrt, weil sie selbst die geforderten Examina nicht nachholen konnte.

Dr. Erwin Rabau (Berlin 15.11.1899 - Tel Aviv 14.6.1983). Der Gynäkologe und Geburtshelfer, seit 1924 in Moabit tätig, flüchtete im April 1933 vor den Nazis nach Palästina. Dort wirkte er am Beilinson-Krankenhaus in Petach Tiqwah und am Krankenhaus Tel Haschomer. Er erhielt Professuren an der Hebräischen Universität Jerusalem und an der Universität Tel Aviv.

Dr. Paul Radt (Berlin 28.12.1902 - Herzliya/Israel 20.4.1971). Der Internist arbeitete seit 1927 in Moabit. Er verließ Deutschland kurz nach dem 30. Januar 1933 und ging nach Palästina.

Prof. Dr. Lydia Rabinowitsch-Kempner (Kowno [Kaunas/Litauen] 22.8.1871 - Berlin 3.8.1935). Die Bakteriologin war ab 1894 (einzige weibliche) Assistentin von Robert Koch, 1896 erhielt sie eine Professur am Women's Medical College in Philadelphia. Ab 1898 lebte sie wieder in Berlin, untersuchte im Auftrag der Stadt bakteriologisch die frische Milch der Meierei Bolle. Nach einem Täuschungsversuch durch die Meierei und nachfolgendem Prozeß ("Berliner Milchkrieg") erreichte sie durch zahlreiche Vorschläge und Vorkehrungen, dass nur noch staatlich kontrollierte tuberkulosefreie Milch in den Handel kam. 1912 erhielt sie als erste Frau in Preußen einen Professorentitel. Sie leitete von 1920 bis zu ihrer Entlassung 1934 das Bakteriologische Institut in Moabit. Ihre Wohnung war in Lichterfelde-West, Potsdamer Straße 58a. Beigesetzt ist sie auf dem Parkfriedhof Lichterfelde, Thuner Platz, Abt. 4a - 2 (Ehrengrab). Im Elterngrab ruht auch ihr Sohn, der als Rechtsberater der preußischen Polizei von den Nazis aus dem Amt gejagt wurde und später US-Ankläger bei den Nürnberger Prozessen war, Dr. Robert M(aximilian) W(assilij) Kempner (Freiburg 17.10.1899 - Königstein/Taunus 15.8.1993).

zurück