Informationstafel Plastik „Treblinka“
Amtsgerichtsplatz
SIE KOMMEN VON ÜBERALL HER, VON OSTEN UND WESTEN, VON NORDEN UND SÜDEN.
TAG UND NACHT UND ZU JEDER JAHRESZEIT, FRÜHLING, SOMMER, HERBST, WINTER.
DIE TRANSPORTE KOMMEN REIBUNGSLOS, UNUNTERBROCHEN, UND TREBLINKA WIRD
TÄGLICH REICHER AN BLUT. JE MEHR GEBRACHT WIRD,
DESTO MEHR KANN TREBLINKA AUFNEHMEN."
Chil Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 2009
Die Plastik Treblinka wurde 1979 am Amts-
gerichtsplatz aufgestellt. Der sowjetische
Bildhauer Vadim Sidur (1924-1986) schuf
sie in Gedenken an die Verbrechen in den
nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Im
öffentlichen Raum beider deutscher Staaten zählt
das Denkmal zu den frühesten künstlerischen
Auseinandersetzungen mit der Shoah.
In den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor
und Treblinka ermordeten deutsche und öster-
reichische Täter von März 1942 bis November
1943 mehr als 1,5 Millionen Menschen. »Aktion
Reinhardt« ist der Deckname für diesen
systematischen Massenmord an der jüdischen
Bevölkerung des besetzten Polen. Allein in
Treblinka wurden mehr als 800.000 Jüdinnen und
Juden sowie etwa 2000 Angehörige der Sinti und
Roma ermordet. Auch deportierte Berlinerinnen
und Berliner waren unter den Opfern. Der letzte
der über zweihundert Überlebenden des
Vernichtungslagers Treblinka verstarb 2016. Nur
wenige der Täter wurden in der Bundesrepublik
Deutschland zwischen 1950 und 1970 verurteilt.
Im Frühjahr 1943 organisierte sich unter den Gefangenen
von Treblinka eine Widerstandsgruppe. Der Aufstand
am 2. August 1943 ermöglichte mehreren hunderten[!]
Inhaftierten den Ausbruch aus dem Vernichtungslager.
Viele starben bereits während des Fluchtversuchs. Andere
starben in den folgenden Tagen durch die Verfolgung der
SS und durch antisemitische Einheimische während der
letzten Monate der Besatzungszeit.
Etwas mehr als 50 Aufständische erlebten das Kriegs-
ende. Auf ihren Erinnerungen beruhen Berichte über die in
Treblinka verübten Verbrechen. Den Überlebenden ist es
zu verdanken, dass ein Teil der Täter nach 1945 vor Gericht
gestellt wird. Das ehemalige Lagergelände nordöstlich
von Warschau ist seit 1964 als Gedenkstätte zugänglich.
Der Bildhauer Vadim Sidur (1924-1986) erlangte als non-
konformistischer sowjetischer Künstler Bekanntheit. 1924
im heutigen Dnipro, Ukraine, geboren, machte er existentielle
Kriegserfahrungen, die einen Kontext seiner Arbeiten
bilden. Da seine Kunst nicht dem Sozialistischen Realismus
entsprach, konnte er in der Sowjetunion nicht ausstellen. Sein
Moskauer Kelleratelier blieb dennoch Produktionsort und
Treffpunkt von Intellektuellen. Sidur verfolgte die Idee, seine
Plastiken nach kleinen Modellen im Ausland in großem Format
ausführen zu lassen. Aufgrund seiner guten Kontakte in die
Bundesrepublik wurden mehrere Plastiken in westdeutschen
Städten aufgestellt. Das Modell für Treblinka entstand 1966.
Einen Anstoß gab wohl der mit ihm bekannte Schriftsteller
Vasilij Grossman, der als Kriegskorrespondent 1944 das Essay
»Die Hölle von Treblinka« nach Berichten von Zeugen und
Überlebenden verfasste. Die Aufstellung des Denkmals am
Amtsgerichtsplatz erfolgte 1979. Sidur verstarb 1986 in Moskau.
Die Infotafel wurde am 27. Juni 2024 auf dem Amtsgerichtsplatz Charlottenburg-Wilmersdorf enthüllt. Sie bezieht sich auf die Plastik „Treblinka“ des Künstlers Vadim Sidur. Anlass war der 100. Geburtstag des Bildhauers am 28. Juni 2024.
Das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf hat in Zusammenarbeit mit Studierenden der Touro University Berlin unter dem Titel „Treblinka gedenken“ eine digitale Ausstellung erstellt. Zur Enthüllung der Gedenktafel am Amtsgerichtsplatz wurden Beiträge von Prof. Stephan Lehnstaedt von der Touro University Berlin, Yevheniia Havrylenko vom Kunsthaus Dahlem sowie Karl Eimermacher, einem Freund und Förderer von Vadim Sidur, präsentiert.
Die Realisierung der Informationstafel wurde durch Mittel der City-Tax der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe zur Unterstützung besonderer touristischer Projekte im Bezirk ermöglicht.
Auf der Infotafel befinden sich drei Bilder, die Bildunterschriften lauten von links nach rechts:
Deportation von Jüdinnen und Juden aus dem
Ghetto Siedlce (Distrikt Warschau) nach Treblinka,
heimlich aufgenommen von dem österreichischen
Wehrmachtsangehörigen und Sozialdemokraten
Hubert Pfoch. Siedlce/Polen, 23.8.1942. Stiftung
Dokumentationsarchiv des österreichischen
Widerstandes, DOEW Foto 8603-1
Rauchschwaden steigen während des Aufstands
über dem Vernichtungslager Treblinka auf.
Aufgenommen hat dies heimlich der polnische
Widerstandkämpfer Franciszek Ząbecki.
Treblinka/Polen, 2.8.1943. Yad Yashem Photo
Archive, Jerusalem, 2BOB
Enthüllung des Denkmals
am Amtsgerichtsplatz.
Berlin-Charlottenburg,
14.9.1979
Foto: Filipp Israelson,
Landesarchiv Berlin,
F.Rep. 290 (02) Nr. 0219617