Werner Seelenbinder
Oderstraße 182
Ringer, Kommunist, Widerstandskämpfer 02.08.1904 – 24.10.1944
Am 29. Juli 1945 fand hier in dieser Sportanlage das erste Neuköllner
Sportfest nach der Befreiung vom Faschismus statt. Damals gedachten
mehrere Tausend Menschen der von den Nazis misshandelten
und ermordeten Arbeitersportler und -sportlerinnen. An diesem Tag
erhielt die Urne mit der Asche des Ringers Werner Seelenbinder
ein Grab am Haupteingang der Anlage und das Stadion den
Namen „Werner-Seelenbinder-Kampfbahn“. Das Einzel-Ehrengrab
von Werner Seelenbinder außerhalb eines Friedhofs ist eine
von wenigen Ausnahmen in Deutschland.
Ringer, Arbeitersportler und Kommunist
Werner Seelenbinder wurde am 2. August 1904 in Stettin
(heute Szczecin, Polen) geboren und wuchs in Berlin auf. Er war
aus Überzeugung Arbeitersportler und seine Disziplin der Ringkampf.
Seit 1920 trainierte Seelenbinder im Neuköllner Sportclub Berolina
und siegte 1925 bei der ersten Arbeiterolympiade in Frankfurt/Main.
Die Arbeitersportbewegung sah sich als Gegenpol zu den bürgerli-
chen Sportvereinen. Im Arbeitersport ging es weniger um den Leis-
tungsgedanken. Im Mittelpunkt standen Geselligkeit, Gemeinschaft
und die politische Arbeit.
1928 nahm Seelenbinder an der 1. Internationalen Spartakiade in
Moskau teil und gewann wieder im Ringkampf. Im selben Jahr
wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).
Olympiateilnehmer und Widerstandskämpfer
Nach der Machtübertragung 1933 an die Faschisten lösten diese
die Arbeitersportvereine auf und verhafteten allein in Berlin hunderte
ihrer Mitglieder — auch Seelenbinder, der inzwischen im Auftrag der
KPD zu einem bürgerlichen Sportverein gewechselt war. Als „bür-
gerlicher Sportler“ gewann er bis 1941 sechsmal die deutsche Meis-
terschaft und nahm an Wettkämpfen im Ausland teil. Doch seine
Kontakte und Reisen nutzte er für illegalen Widerstand: Er schmug-
gelte geheimes Material, berichtete im Ausland über die Zustande
in Nazideutschland und sorgte im In- und Ausland für Verbindung
unter seinen Genossen.
Im August 1933 zeigte er öffentlich seine Ablehnung der Hitler-Dikta-
tur, indem er bei der Siegerehrung zu seiner ersten deutschen Meis-
terschaft den Hitlergruß verweigerte. Danach wurde er für einige
Tage im Gestapo-Gefängnis Columbia-Haus am Tempelhofer Feld
eingesperrt und erhielt eine 16-monatige Trainings- und
Wettkampfsperre.
Aufgrund seiner starken Leistungen konnte er — trotz Inhaftierung
und Sperre — an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teilnehmen.
Bei den Spielen war mit der illegalen Leitung der KPD der Plan ab-
gesprochen, dass er im Falle eines Sieges mit einer Rundfunk-
Rede gegen Hitler protestieren würde. Da er jedoch nur den vierten
Platz erreichte, kam es nicht dazu.
Seit 1938 stand Seelenbinder im engen Kontakt zu Robert Uhrig.
dem Leiter der größten antifaschistischen Widerstandsgruppe der
KPD in Berlin. Seelenbinder half u. a. beim Aufbau eines Netzes von
Widerstandsgruppen vor allem in Berliner Betrieben mit
Bei der Zerschlagung der Gruppe durch die Geheime Staatspoli-
zei (Gestapo) wurde auch Werner Seelenbinder am 4. Februar 1942
festgenommen. Nach 33 Monaten Haft und Folter in verschiedenen
Zwangslagern und Zuchthäusern wurde er am 24. Oktober 1944 im
Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil ermordet.
Mahnung und Erinnerung
Wenige Wochen nach der Bestattung und Ehrung Werner Seelen-
binders demonstrierten rund 60.000 Berlinerinnen und Berliner am
9. September 1945 in 30 Märschen aus allen Groß-Berliner Stadt-
teilen zur ersten großen Gedenkkundgebung für die Opfer des Fa-
schismus zur Werner-Seelenbinder-Kampfbahn.
Auf der Westseite des Stadions war dazu nach einem Entwurf des
Berliner Stadtbaurates und Architekten Hans Scharoun ein provisori-
sches Denkmal gebaut worden. Vor dem Hintergrund zweier schrä-
ger Sockel erhob sich eine rund zehn Meter hohe Dreieckspyramide
mit den Buchstaben KZ an ihrer Spitze. Der „Tag der Erinnerung und
Mahnung“ ist seitdem stets am ersten Sonntag im September eine
jährliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des Faschismus.
Die Werner-Seelenbinder-Kampfbahn verlor jedoch bereits 1948 ih-
ren Namen. Seetenbinder galt als Kommunist in der Zeit des Kalten
Krieges in West-Berlin dieser Ehre für unwürdig. Die Westberliner
Ämter verwendeten nur noch die Bezeichnung „Stadion Neukölln“.
Doch die jährlichen Gedenkfeiern am Grab von Werner Seelenbinder
wurden durch politische Gruppen wie die Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes (VVN) weiterhin durchgeführt, häufig behindert von
Polizei, Bevölkerung und Lokalpolitik.
Mit dem Grabstein, den das Bezirksamt Neukölln zum zehnten
Todestag von Seelenbinder setzen ließ zeigte sich 1954 ein ers-
ter Sinneswandel. Doch die Namensehrung erhielt das Stadion erst
nach jahrelangen Bemühungen von Initiativen, Gruppen und politi-
schen Parteien im Oktober 2004 zurück.
Im Mai 2008 wurde Wemer Seelenbinder in die virtuelle Ruhmes-
halle des deutschen Sports, der Website „hall-of-fame-sport.de“,
aufgenommen. 64 Jahre nach seiner Ermordung erhielt der Ringer
und Widerstandskämpfer damit Anerkennung in ganz Deutschland.
Am Eingang des Sportstadions in der Oderstraße 182 erinnert seit Oktober 2024 eine Informationstafel an Werner Seelenbinder, der zum Zeitpunkt der Einweihung vor 120 Jahren geboren und vor 80 Jahren ermordet wurde.
Die Tafel entstand in einer Kooperation des Bezirksamts Neukölln mit der VVN-VdA Neukölln und der HTW Berlin. Die Redaktion lag bei dem Museum Neukölln: Matthias Heisig (Historiker), Oliver Rump (Professor für Museologie und Museumsmanagement), Georg Kreuzer (VVN-VdA). Zuständig für die Grafik waren Darius v. Berlepsch und Johannes Wockenfuß.
Die Bildunterschriften v.l.n.r. lauten:
„Gedächtnis-Kundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors“ auf der Wener-Seelenbinder-Kampf-
bahn 9.9.1945 [AUS: REINHARD RÜRÜ? (HG.): TOPOGRAPHIE DES TERRORS. 17. ÜBERARB. U. ERW.
AUFL. 2007, S. 190]
Werner Seelenbinder beim Training mit Karl Binder bei der AEG Treptow 1936 (Sportmuseum Olmypia-
stadion Berlin)
Werner Seelenbinder mit „Schmuggelkoffer“ 1937 auf einer Turnierreise (Sportmuseum Olympiastadion
Berlin)
Briefmarke „Werner Seelenbinder 1904 –1944“, Deutsche Post der DDR, Entwurf: Gerhard Stauf, Oswin
Volkamer, Ausgabetag: 27. Mai 1963