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Villenkolonie Alsen

Villenkolonie Alsen

Königstraße

(Inschrift 1)
Die Villenkolonie Alsen

Die Entstehung
Mitte des 19. Jahrhunderts fasste der Berliner Bankier Wilhelm Conrad
(1822-1899) den Entschluss, sich am Wannsee niederzulassen. Er
beauftragte den Berliner Gartenbaudirektor Gustav Meyer (1816-
1877), den Gesamtplan einer Villenkolonie in Form eines Hippodroms
mit der Königstraße als Längsachse zu entwerfen und erwarb selbst
mehrere Parzellen Land auf der Insel Wannsee. Conrad war Vorsitzender
des „Clubs von Berlin”, einem Zusammenschluss von Männern des groß-
bürgerlichen Milieus, die wirtschaftliche und politische Interessen
teilten. Diese waren die Adressaten für die Kolonie. Er verkaufte die
Grundstiicke an bedeutende Persönlichkeiten, an Bankiers, Künstler,
lndustrielle, Wissenschaftler und Verleger und gründete die „Colonie
Alsen”. Keine Parzelle durfte kleiner als ein Preußischer Morgen
(2.553 qm) sein. Die „Colonie Alsen” wurde benannt nach der dänischen
Ostseeinsel Alsen, deren Erstürmung 1864 den Krieg Preußens und
Österreichs gegen Dänemark entschied. 1870 ließ sich Conrad in der
Königstraße 3 die im klassizistischen Stil gehaltene Villa Alsen erbauen,
die das erste Anwesen in der Colonie war.
Zu den neuen Besitzern der Parzellen gehörten u.a. Max Liebermann,
Eduard von der Heydt, Oscar Begas, Hermine Feist, Johann Hamspohn,
Franz Oppenheim, Johannes Otzen, Oscar Huldschinsky, die Verleger-
familie Langenscheidt, Fritz und Ferdinand Springer, Hugo Vogel und
Anton von Werner, die sich hier Villen oder Sommerhäuser errichten
ließen.
Bereits 1871 hatte die Villenkolonie ein eigenes Wasserwerk und 1880
ein Elektrizitätswerk. Conrad, der auch Vorsitzender der Berlin-
Magdeburger Eisenbahngesellschaft war, ließ die Eisenbahnstrecke
von der Innenstadt bis nach Wannsee erweitern. Am 1. Juni 1874
nahm sie ihren Betrieb auf und wurde von der Bevölkerung spöttisch
als „Wahnsinnsbahn, die auf Conrädern rollt” bezeichnet.
1898 wurde aus dem Dorf Stolpe, der Colonie Alsen und der auf der
Ostseite des Wannsees gelegenen Colonie Wannsee die Gemeinde
Wannsee, die 1920 ein selbständiger Ortsteil des Bezirkes Zehlendorf
wurde.
Ein eindrucksvolles Wahrzeichen der „Colonie” ist der in der Straße
Am Großen Wannsee, neben der heutigen Gedenkstätte Haus der
Wannsee-Konferenz, der ehemaligen Villa Marlier/Minoux, thronende
Flensburger Löwe. Auf dem Neuen Friedhof in der Lindenstraße sind
viele der ehemaligen „Colonisten”, Christen wie Juden, begraben.

Die Zeit des Nationalsozialismus
Nach 1933 kamen führende Nationalsozialisten, NS-Organisationen
und NS-Ämter an den Wannsee, um jüdisches Eigentum zu „arisieren”
oder weit unter Wert zu erwerben. Sie errichteten in den Villen NS-
Forschungsinstitute, Gäste- und Schulungshäuser. Dort wohnende
jüdische Bewohner wurden enteignet und deportiert.

Nach 1945
Nach Kriegsende wurden einige Villen zu provisorischen Kranken-
häusern, andere für Segelsportvereine zur Verfügung gestellt, in
Wohneinheiten umgewandelt oder abgerissen. Nur drei Grundstücke
konnten einer kulturellen Nutzung zugeführt werden. In der Villa
Marlier/Minoux befindet sich seit 1992 die Gedenk- und Bildungsstätte
Haus der Wannsee-Konferenz, die Liebermann-Villa ist ein Museum
und die Villa Hamspohn ist die heutige Villa Thiede.
Michael Haupt

(Inschrift 2)
Kolonie Alsen 1933-1945

Enteignung und Zwangsarbeit
Nach 1933 wandelte sich der Charakter des großbürgerlichen Villen-
vororts. In viele Landhäuser zogen Einrichtungen des NS-Regimes.
Juden oder „jüdische Mischlinge” wurden enteignet und vertrieben.
Beispielsweise nutzte die Reichspost die Villa Liebermann als
Erholungsheim. Nach dem Tod von Max Liebermann im Jahr 1935
war seine Witwe Martha gezwungen, Haus und Grundstück weit unter
Wert zu verkaufen. Angesichts der bevorstehenden Deportation nach
Theresienstadt beging sie 1943 Suizid.
Nach und nach wurde die Villenkolonie zu einem bedeutenden Standort
für den „Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS” (SD) unter Reinhard
Heydrich bzw. das „Reichssicherheitshauptamt” (RSHA). Gezielt
wurden Villen und Grundstücke im nördlichen Abschnitt der Straße
Am Großen Wannsee in Besitz genommen. Dies war nur möglich,
weil das RSHA das Vermögen von Juden und jüdische Arbeitskraft
ausbeuten konnte.
Liegenschaften wurden beschlagnahmt oder enteignet. Kauf oder
Umbau von Gebäuden aus geraubtem jüdischen Vermögen finanziert.
Jüdische Jugendliche wurden zur Pflege der Gärten und Anlagen
verpflichtet. Ende Februar 1943 wurden sie - wie Tausende jüdische
Zwangsarbeiter - schlagartig an ihren Arbeitsstellen verhaftet und
nach Auschwitz deportiert („Fabrikaktion”).

Ort der „Wannsee-Konferenz”
lns beschlagnahmte Landhaus Oppenheim, Am Großen Wannsee
43/45, zog im Januar 1937 das „geheime Ostforschungs-lnstitut” des
SD unter dem Tarnnamen „Wannsee-lnstitut” ein. Geleitet von Prof.
Michael Achmeteli, erstellte es Gutachten über Osteuropa und war an
Vorbereitungen zum Überfall auf Polen 1939 und auf die Sowjetunion
1941 sowie an Aktionen der SS-Einsatzgruppen beteiligt. Ab 1943
entstand auf dem Oppenheim-Grundstück eine Funkzentrale zur
Steuerung von Agenteneinsätzen, die den Tarnnamen „Havel-Institut”
trug. Auch die meisten anderen SD-Dienststellen in Wannsee gehörten
zum Auslands-Geheimdienst.
Das repräsentative „Gästehaus des Chefs der Sicherheitspolizei und
des SD”, die frühere Villa Marlier, bildete seit Herbst 1941 den Mittelpunkt
des SD-Standortes. Es diente als kostengünstige Unterkunft für
auswärtige SS- und Polizeiführer. Am 20. Januar 1942 fand hier die
so genannte Wannsee-Konferenz statt, bei der die SS mit Spitzen-
beamten der deutschen Verwaltung die Ermordung der europäischen
Juden beriet.
Später lassen sich weitere Tagungen und Besprechungen, aber auch
„kameradschaftliche” Feiern und Empfänge im Gästehaus nachweisen.
Ab 1944 wurden in der Villa Angehörige des Widerstands interniert,
darunter der Wehrmachts-General Paul von Hase. 1945 verlegten
zunächst der Chef des Inlands-SD und vormalige Einsatzgruppenchef,
Otto Ohlendorf, und später der Gestapo-Chef und Teilnehmer der
Wannsee-Konferenz, Heinrich Müller, ihre Hauptquartiere an den
Wannsee.
Die vom SD genutzten Gebäude und Grundstücke am Großen Wannsee
bildeten einen zusammenhängenden Standort. Abseits davon wurden
weitere Gebäude vom SD genutzt. ln der Königstraße 71 befand sich
seit 1937 das Institut für Staatsforschung. Unter seinem Leiter Prof.
Reinhard Höhn, einem der radikalsten nationalsozialistischen
Rechtswissenschaftler, arbeitete das Institut direkt dem Reichsführer-
SS Heinrich Himmler zu. In die Villa Am Kleinen Wannsee 16 zog
1941 die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IKPK), die
Vorläuferin von Interpol, ein.
Bei Kriegsende wurde die Gegend um den Großen und Kleinen
Wannsee zum Schauplatz sinnloser Abwehrkämpfe.
Gideon Botsch

Jede der beiden Tafelseiten zeigt neben den Inschriften auf der jeweils rechten Seite übereinander fünf Fotografien bzw. Abbildungen. Auf der Seite zur Geschichte der Villenkolonie lauten die Bildunterschriften (v.o.n.u.):
Plan der Colonie Alsen, 1899

Porträt Wilhelm Conrad, Mitglied
und Vorsitzender im renommierten
Club von Berlin

Villenkolonie, Postkarte 1918

Das Ehepaar Marlier vor der Villa
Foto-Album Ernst Marlier, 1916

Flensburger Löwe, Postkarte 1920

Auf der Seite zur Geschichte von 1933-1945 lauten die Bildunterschriften (v.o.n.u.):
Nordwestufer des Wannsees mit dem
Grundstück Marlier/Minoux
Postkarte um 1930

Jüdische Jugendliche, von der SS
als Gartenarbeiter eingesetzt, mit
ihrem Lehrer Jizchak Schwersenz
(3. v. r.) am Wannsee, Juni 1942

Prof. Michael Achmeteli bei einer
„Studienreise in die besetzten Ost-
gebiete", Foto-Album Oktober 1941

Prof. Reinhard Höhn (stehend),
Institut für Staatsforschung, 1936.
Im Publikum Reichsführer-SS Hein-
rich Himmler, SD-Chef Reinhard
Heydrich und der Staatssekretär im
Innenministerium und Teilnehmer
der Wannsee-Konferenz Wilhelm
Stuckart (hintere Reihe, v. r. n. l.)

Dienstgebäude der Internationalen
Kriminalpolizeilichen Kommission
Am Kleinen Wannsee 16, um 1942

Eingeweiht wurde die „Historische Information" an der östlichen Ecke von Königstraße und Am Großen Wannsee am 9.9.2015 in Anwesenheit von rd. 40 Gästen. Nach einem Grußwort von Bezirksstadträtin Cerstin Richter-Kotowski sprach der Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Dr. Hans-Christian Jasch. Gemeinsam mit den Verfassern der Tafeltexte Michael Haupt und Dr. Gideon Botsch wurde anschließend die Stele enthüllt. Deren Konzeption und Gestaltung lag bei Karin Rosenberg.

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