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Städtisches Obdachlosenasyl »Palme«

Städtisches Obdachlosenasyl »Palme«

Diesterwegstraße Ecke Fröbelstraße

Das Städtische Obdach
»Palme«
Ein Beispiel städtischer Fürsorge
In diesem Gebäude befand sich bis 1940 das städtische
Obdach Berlins, im Volksmund »Palme« genannt. Errichtet
in den Jahren 1886/87 nach den Entwürfen des Architekten
und damaligen Berliner Stadtbaurates Hermann Blanken-
stein (1829-1910) musste es aufgrund stetig steigender
Belegungszahlen bereits zwischen 1892/93 und 1895
beträchtlich erweitert werden. Neben dem vergrößerten
Hauptgebäude, in dem sich die Räume der Verwaltung, die
Wohnungen der Beamten sowie die Unterkünfte für obdach-
lose Familien befanden, umfasste das Bauensemble nun
zusätzlich noch 40 Schlafsäle für alleinstehende nächtlich
Obdachlose, ein Waschhaus, eine Desinfektionsanstalt
sowie ein Wohnhaus für den Desinfekteur. Wegen seiner
hygienischen Einrichtungen und modernen technischen
Ausstattung galt das Obdach in der Fröbelstraße lange Zeit
als ein mustergültiges Beispiel städtischer Fürsorge.
Die Unterstützung für nächtlich Obdachlose beschränkte
sich auf das Nötigste: Unterbringung in einem der Schlaf-
säle für nicht mehr als fünf Nächte hintereinander,
Desinfektion der Kleidung, die Möglichkeit zur Körperpflege
sowie morgens und abends einen Teller Mehlsuppe und
ein Stück Brot. Bei Verstößen gegen die strenge Haus-
ordnung drohte den Obdachlosen die Überstellung an das
Polizeipräsidium und gegebenenfalls die Einweisung in
das städtische Arbeitshaus. Obdachlosen Familien wurden
zumindest eine längerfristige Unterbringung, Schulunter-
richt für die Kinder sowie eine einmalige finanzielle
Unterstützung zur Anmietung einer neuen Wohnung
gewährt. Dennoch galt auch hier das Prinzip, die Betroffenen
nur mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Das Städtische Obdach
»Palme«
Krise und Ende einer
vermeintlichen Musteranstalt
Ungeachtet der modernen Ausstattung des Asyls wurde
schon bald Kritik laut an den polizeilichen Kontrollen und
der alltäglichen Praxis im städtischen Obdach. Tätliche
Übergriffe des Aufsichtspersonals gegen die Obdachlosen
sowie die ständige Überfüllung der Schlafsäle begründeten
den schlechten Ruf dieser vermeintlichen Musteranstalt.
Die in vieler Hinsicht untragbaren Verhältnisse in der
»Palme« offenbarten sich einer breiten Öffentlichkeit, als
während der Weihnachtstage 1911 unter den Obdachlosen
massenhaft Vergiftungen aufgetreten waren. Nach offizieller
Untersuchung waren diese ursächlich auf den Konsum
von gepanschtem Alkohol zurückzuführen, der vermutlich
in den umliegenden Lokalen des Obdachs ausgeschenkt
worden war. An den Folgen jener Vergiftung verstarben bis
ins neue Jahr etwa 70 Personen, mehr als 100 mussten
mit Vergiftungserscheinungen in die städtischen Kranken-
häuser eingeliefert werden.
Eine regelmäßige Überbelegung und die teils katastrophalen
Zustände im Obdach machten die »Palme« um die Jahr-
hundertwende, aber vor allem in den 1920er Jahren infolge
von Inflation, Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit
zum Sinnbild drückender Armut. In den Zeiten größter Not
fanden hier weit mehr als 5.000 Personen pro Nacht Auf-
nahme.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 veränderte
sich die öffentliche Fürsorge radikal: Bettler, Landstreicher
und Obdachlose wurden in unzähligen Fällen als »asozial«
und »gemeinschaftsfremd« stigmatisiert, systematisch ver-
folgt und in großer Zahl in Arbeitshäuser und Konzentrations-
lager verschleppt. Diese und weitere repressive Maßnahmen
des NS-Regimes gegen Arbeits- und Obdachlose führten
dazu, dass die Belegung der »Palme« rasch zurückging. Die
endgültige Umnutzung des Gebäudes in ein Krankenhaus
beendete dann schließlich im Jahre 1940 die Geschichte
des Hauses als städtisches Obdach Berlins.

Die beiden hohen Stelen stehen unmittelbar vor der heutigen Vivantes-Klinik an der Ecke Diesterwegstraße und Fröbelstraße, die erste in der Diesterwegstraße (Westseite), die zweite in der Fröbelstraße (Südseite). Tafeltext und Recherchen: Florian Bielefeld

Die erste Stele zeigt sechs Abbildungen mit folgenden Beschriftungen:
Blick auf das städtische Obdach
und Umgebung

Neben dem Asyl für Obdachlose
ließen der Magistrat und die
Stadtverordnetenversammlung
von Berlin in einem bis dahin nur
sporadisch bebauten Gebiet an
der Prenzlauer Allee zur gleichen
Zeit auch noch ein Hospital und
Siechenhaus errichten, nach 1895

Gebäude für nächtliche Obdachlose
Im Hof des Hauptgebäudes
befanden sich die vielen Schlafsäle
für alleinstehende nächtlich
Obdachlose, 1906-08.

Schulsaal im Familienobdach
Bereits kurz nach Eröffnung der
»Palme« beschloss die Stadt-
verordnetenversammlung von Berlin,
im Familienobdach einen Unter-
richt für schulpflichtige Kinder
einzurichten, da die meisten
Gemeindeschulen zu weit vom
Obdach entfernt waren, vor 1914.

Außenansicht des städtischen
Obdachs (unten)

Die Herkunft des im Volksmund
gebräuchlichen Namens »Palme«
bleibt unklar, wird aber häufig auf
eine mutmaßlich im Eingangs-
bereich aufgestellte Palme zurück-
geführt, 1906-08.

Leerer Schlafsaal (Saal 3)
Die Gebäude für nächtlich
Obdachlose waren ursprünglich
für 50 Personen pro Schlafsaal
ausgelegt worden, mussten später
jedoch aufgrund des ständig
wachsenden Andrangs mit bis
zu 100 Menschen belegt werden,
vor 1914.

Grundriss - technische Zeichnung
Mit den umfangreichen
Erweiterungen zwischen 1892/93
und 1895 war die gesamte Anlage
weitestgehend fertiggestellt,
nach 1895.

Die zweite Stele zeigt fünf Abbildungen mit folgenden Beschriftungen:
Massenandrang beim
städtischen Obdach

Vor allem in den kalten Winter-
monaten sowie in Zeiten
wirtschaftlicher Krisen kam
es regelmäßig zu einem
massenhaften Andrang vor
dem Obdach, um 1920.

Schlafsaal für Frauen
In der Regel waren männliche
Personen im nächtlichen Obdach
in der Mehrzahl, dennoch gab
es auch immer einige Schlafsäle,
die obdachlosen Frauen vor-
behalten waren, um 1920.

Warteraum (Saal 20)
Nach der Aufnahme in der »Palme«
wurden mehrere Obdachlose
zuerst in einem Raum versammelt
und dann nach und nach den
einzelnen Schlafsälen zugewiesen,
um 1920.

Männer beim Holzhacken
Im Rahmen der 1924 einsetzenden
Reformen im städtischen Obdach
wurde gegenüber der »Palme«
eine Arbeitsstätte eingerichtet, in
der obdachlose Männer zum
Holzhacken herangezogen wurden,
um 1925.

Außenansicht des städtischen
Obdachs (unten)

Unter anderem wegen der zahl-
reichen und teils strengen
Reformen im städtischen Obdach
ging die Zahl der Obdachlosen
in der »Palme« gegen Ende der
1920er Jahre langsam zurück,
um 1932.

Eingeweiht wurden die Stelen von Bezirksstadtrat Dr. Torsten Kühne und der Geschäftsführenden Direktorin des Vivantes Klinikum im Friedrichshain Dr. Andrea Bronner am 27.8.2013.

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