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SPD-Parteivorstand und Vorwärts-Verlag
SPD-Parteivorstand und Vorwärts-Verlag
SPD-Parteivorstand und Vorwärts-Verlag

SPD-Parteivorstand und Vorwärts-Verlag

Lindenstraße

(linke Stele)
Lindenstraße 2-4

Parteivorstand der SPD bis 1933.
Lindenstraße 2-4.

Von hier bis zum Mehringplatz und zur Alten Jakobstraße
erstreckte sich früher ein großer Gewerbekomplex mit zehn
Höfen. Bis zum Verbot 1933 hatten dort der Parteivorstand der
SPD, die Parteischule, das Parteiarchiv sowie Verlag, Buch-
handlung und Druckerei des Parteiorgans Vorwärts ihren
Sitz. Die von dem Architekten Curt Berndt 1902/04 errichte-
ten Gebäude wurden nach schweren Kriegsbeschädigungen
1962 abgerissen. Der historische Standort Lindenstraße 2-4
ist wegen der Veränderung des Straßenverlaufs der Linden-
straße heute nicht mehr erkennbar.

Die 1875 aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein
(ADAV) und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
Deutschlands hervorgegangene Sozialistische Arbeiterpartei
Deutschlands gab sich auf dem Parteitag in Halle 1890 den
Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Nach Aus-
laufen der Sozialistengesetze (1878 bis 1890) konnte sie ab Ende
1890 wieder öffentlich auftreten. Neben der SPD-Reichstags-
fraktion, deren Überleben das liberale Reichstagswahlrecht
gesichert hatte, sollte die schnell wachsende Partei in Berlin,
der Hauptstadt des Deutschen Reiches, ein politisches Zen-
trum erhalten.

Zunächst fand das Büro des Parteivorstandes Platz in der
Wohnung des Parteisekretärs Ignaz Auer (1846-1907) in der
Katzbachstraße 9. Nach einem Übergangsquartier in der
Kreuzbergstraße 30 bezog der Parteivorstand der SPD 1905
ein Gebäude nicht weit von hier an der Lindenstraße 69, wo
bereits seit 1902 Redaktion, Verlag und Druckerei der Tages-
zeitung Vorwärts sowie die Vorwärts-Buchhandlung ihren
Sitz hatten.

1906 zog die SPD-Parteischule in die Lindenstraße 3. 1912
wurde das gesamte Areal Lindenstraße 2-4 erworben. Finanziert
wurde das durch Sammlungen unter den SPD-Mitglie-
dern sowie durch Zuschüsse der sozialdemokratischen Ge-
werkschaften und durch drei wohlhabende SPD-Mitglieder,
darunter der Parteivorsitzende Paul Singer. Bis 1914 zogen der
Vorwärts-Verlag mit seiner Druckerei und der Parteivorstand
ein. In den Adressbüchern sind unter den Adressen Linden-
straße 2 und 4, Alte Jacobstraße 148-155 und Belle-Alliance-
Platz 8 (heute: Mehringplatz) weitere Einrichtungen der Ar-
beiterbewegung verzeichnet, darunter die Buchhandlung des
J.H.W Dietz-Verlages, diverse Bezirksausschüsse der SPD, das
Büro der Sozialdemokratischen Frauen, Jugendsekretariate,
der Bücherkreis, weitere Zeitschriftenredaktionen und Verla-
ge der Arbeiterbewegung, z.B. der Verlag der Arbeiterjugend,
und gegen Ende der Weimarer Republik auch die Wohlfahrts-
schule der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Insgesamt betrug die genutzte Grundfläche schließlich 27.000
qm. Die heutige Parteizentrale Willy-Brandt-Haus in der Will-
helmstraße umfasst 5.000 qm.

(mittlere Stele)
Lindenstraße 2-4

Der Vorwärts. Das Zentralorgan der SPD.

Die 1876 in Leipzig gegründete (1878 bis 1890 verbotene) so-
zialdemokratische Tageszeitung Vorwärts entwickelte sich als
Zentralorgan der SPD und Tageszeitung für Berlin zu einem
meinungsstarken Medium, das mit der wachsenden Partei im-
mer stärker in die politischen Debatten vor dem Ersten Welt-
krieg eingriff. Bis 1912 stieg die Auflage auf 165.000 Exemplare
und der Verlag erwirtschaftete beträchtliche Überschüsse. In
der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der SPD-Politik
stellte sich die Vorwärts-Redaktion häufig gegen die Parteili-
nie. Chefredakteur war von 1891 bis zu seinem Tod im Jahr
1900 Wilhelm Liebknecht. Ihm folgten mehrere Chefredak-
teure, darunter waren Kurt Eisner (1867–1919) und Rudolf Hil-
ferding (1877–1941); Von 1916 bis 1933 war Friedrich Stampfer
(1874-1957) Chefredakteur. Im Ersten Weltkrieg konnte die
Zeitung wegen Verbots durch die militärische Zensurbehörde
wiederholt nicht erscheinen.

Nach der Novemberrevolution 1918 geriet der Vorwärts ins
Zentrum der gewaltsamen Auseinandersetzungen über die
künftige Verfassung Deutschlands. Das Gebäude wurde vom
5.-12. Januar 1919 wie die anderen großen Zeitungsredakti-
onen Berlins von Aufständischen besetzt, die statt des par-
lamentarischen Systems eine Rätedemokratie forderten. Re-
gierungstruppen schlugen auf Befehl des Volksbeauftragten
Gustav Noske den Aufstand nieder. In dieser aufgeheizten
Situation wurden am 15. Januar Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht von rechtsgerichteten Freikorps-Soldaten ermor-
det.

Der Vorwärts nahm in der Weimarer Republik weiteren Auf-
schwung. Die mehrmals täglich erscheinende Zeitung erreich-
te eine Auflage von 300.000 Exemplaren. Die Redaktion för-
derte auch literarische Entdeckungen: Zum Beispiel erschien
B. Travens Erzählung Die Baumwollpflücker 1925 in mehreren
Folgen im Vorwärts. Gemeinsam mit der liberalen Presse ver-
teidigte der Vorwärts die Weimarer Republik gegen Angriffe
von rechts und von links.

Die Nationalsozialisten bekämpften den Vorwärts nach der
Machtübertragung an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 mit
häufigen Verboten und verfolgten seine Redakteure per Haft-
befehl. In der Nacht des Reichstagsbrands vom 27. zum 28. Fe-
bruar 1933 stoppten Polizisten die Rotationsmaschinen. Der
Vorwärts wurde verboten.

Am 6. März 1933 wurde der gesamte Komplex von SA-Einhei-
ten, mit Unterstützung der Polizei, besetzt, die Beschäftigten
verhaftet. Chefredakteur Friedrich Stampfer floh ins Exil. Sein
Stellvertreter Franz Klühs, nach dem die hier in die Linden-
straße einmündende Straße seit 1971 benannt ist, starb 1938
an den Folgen von im Gefängnis erlittenen Misshandlungen.

Der nationalsozialistische Staat enteignete die SPD und über-
trug das Vermögen der NSDAP. Im Gebäudekomplex Linden-
straße 2-4 findet man 1939 u.a. die NS-Organisation Kraft
durch Freude, eine Abteilung des Reichsluftfahrtministeri-
ums und eine Dienststelle des NSDAP-Amtes für Volksge-
sundheit.

(rechte Stele)
Lindenstraße 2-4

Exil und Neubeginn.

Der Exilvorstand der SPD (zuerst in Prag, seit 1938 in Paris)
ließ bis 1940 einen Neuen Vorwärts produzieren, der illegal im
nationalsozialistischen Deutschen Reich verteilt wurde. Erst
1948 kann in Hannover nach dem Ende des NS-Regimes ein
Neuer Vorwärts erscheinen, der 1955 mit dem Umzug nach
Bonn, der Hauptstadt der Bundesrepublik, wieder den histo-
rischen Namen Vorwärts annahm.

Die Wiedergründung der SPD erfolgte in den vier Besatzungs-
zonen Deutschlands nach 1945 uneinheitlich. Unterschiedli-
che Auffassungen blockierten die Entwicklung zu einer ge-
meinsamen Führung. Die SPD des sowjetischen Sektors ging
nach der Zwangsvereinigung mit der KPD in der SED auf,
in Ostberlin existierte sie aufgrund des Viermächtestatus bis
zum Mauerbau 1961, durfte jedoch nicht an Wahlen teilneh-
men. Die SPD der westlichen Besatzungszonen hatte ihren
Sitz bis 1951 in Hannover und danach in Bonn.

Als sich nach dem Mauerbau 1961 abzeichnete, dass eine Rück-
kehr des Parteivorstandes nach Berlin auf lange Zeit nicht
möglich sein würde, beschloss die SPD 1962 den Verkauf der
in West-Berlin gelegenen historischen Parteizentrale, die ihr
zurück übertragen worden war.

Die Ruine ließ der neue Eigentümer abreißen. Durch die Neu-
planung des Viertels in den 1970er Jahren verschwanden die
letzten Reste der historischen Gebäude.

Mit dem Willy-Brandt-Haus in der Wilhelmstraße hat der
Parteivorstand seit 1996 wieder seine Zentrale in Berlin.

Summary

Until 1933, the central office of Germany’s Social Democratic
Party (SPD) was located on this square together with the edi-
torial office of the party’s daily paper, Vorwärts, Social De-
mocratic publishing houses, a book store, the party school,
and numerous other Social Democratic organizations.

It was not before the repeal of the Anti-Socialist Laws (1878-
1890) that the Social Democratic Party could set its headquar-
ters up in Berlin, the capital of the German Empire. Gradually,
from 1902 onwards, Berlin became a major center of the German
labor movement.

During the Weimar Republic, the SPD’s central office and the
Vorwärts were a bulwark against attacks on the republic from
both the political right and left. After the handover of power to
Adolf Hitler on January 30, 1933, the party’s central office faced
violent attacks by the National Socialists who also repeatedly
banned the Vorwärts. On March 6, 1933, the day following the
last parliamentary elections in which it was possible to vote for
a party other than the Nazis, storm troopers of the S.A. and
police seized the building and arrested the party’s employees.
Just a few months later, the Nazi regime banned the SPD and
expropriated its assets. Until 1940, the SPD in exile managed
to publish the New Vorwärts, which was smuggled into Nazi-
Germany to support the resistance against the regime.

During the Second World War, the buildings, as well as the
surrounding quarter, were so severely damaged that it was im-
possible to occupy them after the war. Moreover, Germany’s
separation and the different ways the party developed in the
two German states did not permit the SPD to re-establish its
headquarters in Berlin. The party was outlawed in what was
first the Soviet Zone of Germany and then the GDR because
of its enforced unification with the German Communist party
(KPD) while in the Western zones that became the FRG the SPD
first established its headquarters in Hannover and later moved
them to Bonn. After the Wall went up in 1961 and deepened the
German divide, the SPD decided to sell the ruins of its former
headquarters in Berlin, and they were later demolished.

Unification in 1990 made a return to Berlin possible. In 1996,
the party inaugurated its new headquarters – the Willy-Brandt-
Haus – on Wilhelmstraße.

The photographs document moments from the history of the
party headquarters and the Vorwärts.

Das aus drei doppelten Aluminiumstelen bestehende Ensemble ist am Rande einer kleinen Grünanlage direkt an der Ecke Franz-Klühs-Straße in Betonsockel eingelassen. Außer den Inschriften finden sich auf den Stelen zahlreiche Abbildungen. Enthüllt wurde die Gedenkinstallation am 22.4.2013 in Anwesenheit zahlreicher Gäste, darunter die stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Manuela Schwesig und Olaf Scholz, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, und Bezirksbürgermeister Franz Schulz. Die Ansprache zur Enthüllung hielt Schatzmeisterin Barbara Hendricks.

Die Unterschriften unter den Abbildungen lauten:
(Linke Stele:)
Vorderansicht der SPD-Parteizentrale zur Zeit der Weimarer Republik.

Der Plan zeigt den historischen Standort. Das im Zweiten Weltkrieg
stark zerstörte Viertel wurde in den 1970er Jahren neu bebaut.

Der Lehrsaal der Parteischule 1908: mit den Lehrern Rosa Luxemburg,
Franz Mehring und August Bebel.

Parteivorstand der SPD 1909 mit Luise Zietz, Friedrich Ebert, Hermann
Müller, Robert Wengels (stehend von links), Alwin Gerisch, Paul Singer,
August Bebel, Wilhelm Pfannkuch und Hermann Molkenbuhr (sitzend
von links).

Bucheinbände aus den sozialdemokratischen Verlagen:
Eduard Bernstein: Die Geschichte der Berliner Arbeiter-Bewegung, 1910, Verlag der Buchhandlung des Vorwärts.
Das lustige Buch des Bücherkreises, Humoresken und Grotesken ausgewählt von Arthur Goldstein, 1929, Bücherkreis.
Maxim Gorki, Der Sohn der Nonne, 1925, von J.H.W. Dietz Nachfolger.
Bruno Schönlank, Agnes, ein Roman aus der Zeit des Sozialistengesetzes, 1929, Bücherkreis.

(Mittlere Stele:)
Am 30. September 1890 endete das Sozialistengesetz. Sozialdemokratische Zeitungen konnten wieder frei erscheinen, auch das Berliner Volksblatt, das
die SPD auf dem Parteitag in Halle zum offiziellen Parteiorgan bestimmte. Am 1. Januar 1891 führte das Zentralorgan der Sozialdemokraten wieder den
traditionellen Titel Vorwärts. Das Berliner Volksblatt ging im Vorwärts auf und erschien im Zeitungskopf als Untertitel.

Während des Januaraufstandes 1919 besetzen Aufständische die
Parteizentrale und den Vorwärts. Der Aufstand stand unter der
Führung eines Revolutionsausschusses, dem Karl Liebknecht und
Wilhelm Pieck von der neu gegründeten KPD angehörten.

Nach der Machtübertragung an Adolf Hitler am 30.1.1933 ist die
Existenz des Vorwärts sofort bedroht. Unter Missbrauch des
Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung werden regelmäßig die
sozialdemokratischen Zeitungen verboten.

Die drei Pfeile im Titel sind das Kampfzeichen der Eisernen Front,
eines Zusammenschlusses aus folgenden Organisationen gegen den
Faschismus: SPD, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Allgemeiner Deutscher
Gewerkschaftsbund
(ADGB), Allgemeiner freier Angestelltenbund (AfA-
Bund), Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB).

Die Vorwärts-Druckerei verfügte in der Weimarer Republik über
modernste Technik. Hier ein Blick in den zentralen Technikbereich
mit der Rotation.

SA und Polizei besetzen am 6. März 1933 die Partei- und Vorwärtsbüros
und verhaften die Angestellten. Die Verhafteten müssen auf dem Hof
antreten und werden später inhaftiert. Die Büros werden geplündert
und verwüstet.

(Rechte Stele:)
Vor dem Verkauf des Grundstücks besichtigt die SPD-Führung die Ruine 1962. Das Foto zeigt den SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer (1901-1963), 2.
von links, in der Mitte SPD-Schatzmeister Alfred Nau (1906-1983), links der Geschäftsführer der Konzentration GmbH, Fritz Heine (1904-2002). Bis zur
Besetzung der Parteizentrale durch SA und Polizei hatten sie als junge Mitarbeiter im historischen Haus gearbeitet.

Der Exil-Vorstand der SPD (Sopade) kann schon am 18. Juni 1933 den
Neuen Vorwärts als Wochenblatt herausbringen. Gedruckt wird er bei
Graphia in Karlsbad, Tschechoslowakei. Über die neu eingerichteten
Grenzsekretariate wird die illegale Zeitung ins Deutsche Reich
geschmuggelt.

Blick auf das zerstörte und abgeräumte Viertel um den Mehringplatz
im August 1966.

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