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Reichenheimsches Waisenhaus

Reichenheimsches Waisenhaus

Weinbergsweg 13

Das Reichenheim’sche Waisenhaus
The Reichenheim Orphanage
Hier, am Weinbergsweg 13, befand sich das Reichen-
heim’sche Waisenhaus. Es wurde von Friedrich Hitzig
(1811-1881) entworfen. Gestiftet von dem Wollstoff-
fabrikanten Moritz Reichenheim (1815-1872) und
seiner Frau Sara (1815-1881) wurde es als erstes
Waisenhaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am
8. Mai 1872 eröffnet.
Den Alltag der Zöglinge bestimmte eine strenge, auf
Disziplin, Ordnung und Sauberkeit ausgerichtete
Erziehung. Zugleich legte der langjährige Direktor
Dr. Sigmund Feist (1865-1943) Wert auf die gerechte
Behandlung der Kinder. Auch nach ihrer Zeit im
Waisenhaus pflegten viele einen regen Kontakt zu
ihrem »Ziehvater«. Davon zeugen Feldpostbriefe, die
ihm »seine Kinder« als Soldaten von den Fronten des
Ersten Weltkrieges schrieben.
Sigmund Feist, der sich als Philologe einen Namen
gemacht hatte, beendete im Jahr 1935, zwei Jahre
nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten,
70-jährig seine Tätigkeit im Waisenhaus. Die Einrich-
tung wurde 1939 aufgelöst. Danach diente das Gebäude
für kurze Zeit als Altersheim der Jüdischen Gemeinde,
bevor es im März 1942 an die NSDAP zwangsverkauft
und später durch Bomben zerstört wurde.
Das Schicksal der Zöglinge des Waisenhauses ist nicht
vollständig geklärt. Wer nicht mit Kindertransporten ins
Ausland gelangte, wurde zunächst in anderen Waisen-
häusern der Hauptstadt untergebracht. Ab Herbst 1941,
dem beginn der systematischen Deportationen von
Juden, wurden die meisten jüdischen Waisen von Berlin
nach Osten in den Tod verschleppt.

The Reichenheim Orphanage once stood here, at Wein-
bergweg 13. It was designed by architect Friedrich
Hitzig (1811-1881). Funded by wool fabric manufacturer
Moritz Reichenheim (1815-1872) and his wife Sara
(1815-1881), the building was inaugurated on May 8,
1872 as the first orphanage of the Jewish Community
in Berlin.
The children’s upbringing was characterized by dis-
cipline, order, and cleanliness. At the same time the
orphanage’s long-time director Dr. Sigmund Feist
(1865-1943) put an emphasis on treating the children
fairly. Even after leaving the orphanage, many of the
children stayed in touch with their »foster father«.
Letters he received from »his children« serving as
soldiers during World War I bear witness to this.
Sigmund Feist, who made a name for himself as a
philologist, ended his tenure at the orphanage in 1935
at the age of 70, two years after the national Socialists
came to power. The orphanage was shut down in 1939.
The Jewish Community briefly used the building as a
retirement home before being forced to sell it to the
National Socialist German Worker’s Party in March 1942.
It was later destroyed b bombing. We do not know
exactly what happened to each of the children from
the orphanage. Those who were not able to leave
Germany in a »Kindertransport« were moved to other
orphanages throughout Berlin. When the systematic
deportation of Jews began in the autumn of 1941,
most Jewish orphans were deported east and murdered.

Rechts neben der Inschrift befinden sich übereinander fünf Fotos. Die Bildunterschriften lauten (v.o.n.u.):

Das Gebäude in den 1930er Jahren
The building, 1930s

Elisabeth, Toni und Sigmund Feist, Ende der 1920er Jahre
Elisabeth, Toni and Sigmund Feist, end of the 1920s

Jungen im Speisesaal, um 1920
Boys in the dining room, around 1920

Die Schauspielerin Asta Nielsen (1881-1972) im Kreise
von Zöglingen während der Filmaufnahmen für »Das
Waisenhauskind«, 1916, mit handschriftlichem Gruß
Actress Asta Nielsen (1881-1972) amidst children from
the orphanage while filming »The Orphan« in 1916, with
handwritten greetings

Grabstätte des Ehepaars Moritz und Sara Reichenheim
auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee 22
[!]
Grave of Moritz and Sara Reichenheim on the jewish
cemetery at Schönhauser Allee 22[!]

Unten rechts auf der Stele ist vermerkt, dass sie „auf Initiative des Holocaustüberlebenden Walter Frankenstein" entstand und aus Mitteln des Landes Berlin finanziert wurde. Den Text lieferte die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Gestaltung der gerahmten und durchsichtigen Stele lag bei Helga Lieser. Enthüllt wurde sie nach Ansprachen von Kulturstaatssekretär Tim Renner und Walter Frankenstein am Nachmittag des 30.10.2015.

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