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Opfer des Stalinismus

Kleine Alexanderstraße 28

Ehrendes
Gedenken
an Tausende deutsche Kommunistinnen
und Kommunisten, Antifaschistinnen und
Antifaschisten, die in der Sowjetunion in den
1930er bis 1950er Jahren willkürlich ver-
folgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf
Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.

Die hochrechteckige Glastafel wurde von Helga Lieser gestaltet und am Nachmittag des 17.12.2013 von den Vorsitzenden der Partei Die Linke Katja Kipping und Matthias Höhn sowie der Angehörigen einer Opferfamilie, Ursula Schwartz, und in Anwesenheit zahlreicher Gäste an der Parteizentrale, dem Karl-Liebknecht-Haus, enthüllt. Sie ist an der Seite zur Kleinen Alexanderstraße zwischen dem zweiten und dritten Fenster rechts neben dem Eingang auf dem Putz befestigt.

Bei der Enthüllung sagte die Vorsitzende u.a.: „Auch in der DDR wurde vor allem eins, nämlich geschwiegen. Es ist an uns, den Opfern eine bleibende Erinnerung zu geben." (Neues Deutschland, 18.12.2013) Die Anregung für die Tafel kam von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA). Sie wurde erst nach längeren innerparteilichen Auseinandersetzungen angebracht. Schon am 5.3.2013 stand im Neues Deutschland: "Linke plant Gedenktafel für Opfer des Stalinismus", aber in der online-Ausgabe des Tagesspiegel vom 16.6.2013 hieß es: „Der linke Flügel der Linkspartei hat verhindert, dass Opfer des Stalinismus noch vor der Bundestagswahl mit einer Gedenktafel in Berlin geehrt werden." Die Bedenken richteten sich vor allem gegen den Ort. Das aber war nicht das einzige Motiv, wie der Chefredakteur des Neuen Deutschland, Tom Strohschneider, am 17.12.2013 schrieb: „Wer (...) die Briefwechsel, Gutachten und Beschlussvorlagen zur Anbringung der Gedenktafel studiert, (...) der stößt dort auf einen Konflikt mit bisweilen großer emotionaler Note. Dieser lässt sich nicht allein mit Meinungsverschiedenheiten über die Tafel erklären. Es geht bei alledem um mehr, um das geschichtspolitische Selbstverständnis einer Partei, welche die Welt umwälzen will – und dabei nicht das verstörende Erbe früherer Versuche der Umwälzung übergehen kann: Willkür, Leid, Terror."

Bei der Enthüllung am 17. Dezember sprach Ursula Schwartz (Jg. 1921), deren Familienangehörige wie sie selbst Opfer stalinistischen Terrors waren. Sie sagte u.a. (Neues Deutschland, 21.12.2013): „Die heutige Einweihung dieser Gedenktafel erfüllt mich mit tiefer Genugtuung. Dass es an diesem historischen Ort geschieht, ist auch für mich persönlich von besonderer Bedeutung. (...) Aus diesem Haus bekamen meine Eltern 1931 den Auftrag, mit meinen zwei Brüdern und mir nach Moskau zu übersiedeln.(...) Im verhängnisvollen Jahr 37, ich war 16 Jahre alt, wurden meine Eltern und mein ältester Bruder verhaftet. Mit der Rekrutierung meines jüngeren Bruders in die Arbeitsarmee verlor ich den letzten familiären Kontakt.
18 lange Jahre, die ich selbst unter misslichen Bedingungen verbrachte, hatte ich keine Informationen von meinen Angehörigen. Das Jahr 1955 brachte uns, die Überlebenden der Familie, wieder zusammen. Nach 25 Jahren durfte ich endlich in die Heimat, nach Berlin, zurückkehren. Ich nahm an, dass wir – nach den schrecklichen Ereignissen, die wir in der Sowjetunion unschuldig erleiden mussten, Worte der Anteilnahme und des Respekts hören werden. Die Realität war eine andere.
Über die Verbrechen Stalins und die Opfer wurde nicht öffentlich gesprochen. Das Schweigen war vielschichtig und unterschiedlich motiviert. In den Erinnerungen der Familien wirkten die schrecklichen Ereignisse und die Ungewissheit über das tatsächliche Schicksal der Angehörigen über die Jahrzehnte fort und wurden eine schwere Bürde.
Wie eine Befreiung wirkte 1989 die Botschaft des außerordentlichen Parteitags: Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.
Wir Nachkommen begannen nach dem Schicksal unserer Angehörigen zu forschen. Es war ein schmerzvoller Prozess: Wir erfuhren von den ungeheuerlichen, konstruierten Anschuldigen, von erzwungenen Geständnissen, von Massenerschießungen und Massengräbern.
Unser Arbeitskreis sieht es als seine Verpflichtung an, dafür Sorge zu tragen, dass die Schicksale der unschuldigen Opfer nicht vergessen werden, dass ihnen ihre Namen zurückgegeben werden und ihnen ein würdiges öffentliches Gedenken gewährt wird. In dieser Stunde denke ich an meine Eltern, an meine Brüder, an die Freunde und Genossen meiner Eltern, an die Nachbarn in unserem Leningrader Emigrantenhaus, in dem Antifaschisten aus vielen Ländern Europas vorübergehend ein neues zu Hause gefunden hatten. Keine Familie entging der Verfolgungen der Jahre 1937/38. Allein aus diesem Haus wurden 31 Frauen und Männer erschossen. Der älteste von ihnen war der 53jährige Anton Kusik, ein Kommunist aus Estland. Das jüngste Opfer war mein Bruder Rudi, er war gerade 21 Jahre alt geworden. Er wurde am 15. Januar 1938 gemeinsam mit unserer Mutter erschossen.
So viele Jahrzehnte sind vergangen. Der Schmerz über den Verlust, über das sinnlose und unmenschliche Leid will nicht vergehen.
Ich wünschte, mein Vater wäre heute hier. Er, der die schrecklichen Jahre im Lager und in der Verbannung für immer tief in seinem Inneren begrub und der seiner Trauer um Frau und Sohn niemals öffentlich Ausdruck verleihen durfte."

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