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Lager Kaulsdorfer Straße 90 - Stele 2

Lager Kaulsdorfer Straße 90 - Stele 2

Bismarcksfelder Straße (am Wuhlewanderweg)

(Tafel 3)
Lager für Wolhyniendeutsche
1939 begann die Deutsche Reichsbahn auf dem Areal an der Kauls-
dorfer Straße mit dem Bau eines Lagers für deutsche Arbeiter, die
auf Eisenbahnbaustellen eingesetzt werden sollten. Es wurden elf
hölzerne Unterkunftsbaracken, zwei Funktionsbaracken sowie ein
Wirtschaftsgebäude errichtet. Die Deutsche Reichsbahn übergab das
noch nicht genutzte, damals als “Gemeinschaftslager Köpenick”
bezeichnete Gelände Anfang Januar 1940 zur zwischenzeitlichen
Unterbringung von deutschen Siedlern aus Wolhynien an das SS-Amt
“Volksdeutsche Mittelstelle”. Die Wolhyniendeutschen mussten nach
dem geheimen Zusatzprotokoll zum “Hitler-Stalin-Pakt” den bis dahin
polnischen und ab September 1939 sowjetischen Teil Wolhyniens
verlassen. Sie sollten unter der Losung “Heim ins Reich” in dem
annektierten Gebiet “Reichsgau Wartheland” neu angesiedelt werden.
Ab 17. Januar 1940 waren bis zu 1.600 Menschen im Lager unter-
gebracht. Ihre Namen, die Herkunftsorte und ihr weiteres Schicksal
sind unbekannt. Die Deutsche Reichsbahn forderte im August 1940
wegen eigenen Bedarfs zur Räumung des Lagers auf. Im September
1940 waren noch etwa 50 Insassen und 200 SS-Männer als Um-
siedlungskommando im Lager. Mitte Oktober war das Lager geräumt.

(Unter dem Text ein Foto, ein Dokument und rechts daneben ein Textauszug daraus [Abschrift]):

1 Wolhyniendeutsche umringen die Lagerleiterin (mit Armbinde).
Aufnahme vom 25.1.1940

Aus der Niederschrift über die gemeinsame Besprechung mit den Bezirks-
beigeordneten und den Bezirksbeiräten von Lichtenberg am 11. März 1940
Magistratsobermedizinalrat Dr. Runge berichtet ausführlich über die hygieni-
schen Verhältnisse im Bezirk unter besonderer Berücksichtigung des Ge-
sundheitszustandes der wolhyniendeutschen Rückwanderer im Lager Kaulsdorf.
Hauptaufgabe des Gesundheitsamtes bei der Einrichtung des Lagers sei es
gewesen, der Einschleppung übertragbarer Krankheiten nach Möglichkeit
vorzubeugen. Diesem Ziel diente in erster Linie eine gründliche Entlausung
der Rückwanderer, die in zahlreichen Fällen notwendig war. Hierdurch sei es
erreicht worden, daß die Gefahr der Einschleppung von Flecktyphus vorerst
als behoben angesehen werden könne. Andere übertragbare Krankheiten wie
Diphtherie, Scharlach und besonders die Ägyptische Augenkrankheit, die
in größerem Umfange befürchtet würde, seien erfreulicherweise auf wenige
Fälle beschränkt geblieben. An Typhus erkrankten bisher 8 Personen, an
Genickstarre 19, von denen 3 starben. Eine große Zahl von Kindern mußte
wegen Masern in das Krankenhaus geschafft werden. Neuerdings bestehe der
Verdacht, daß mit Darmkrankheiten (Ruhr) in weiterem Ausmaße gerechnet wer-
den müsse. Wann unter diesen Umständen die über das Lager verhängte Sperre
aufgehoben werden könne, lasse sich noch nicht voraussehen. In erster Linie
gelte es, die Sauberkeit im Lager zu heben und die Insassen zur Reinlich-
keit zu erziehen. Sobald der Boden frostfrei geworden sei, müsse das Lager
vor allem unverzüglich an die Kanalisation angeschlossen werden, um die
große Gefahrenquelle zu beseitigen, die sich aus den unzulänglichen Abortan-
lagen ergebe.
Bezirksbürgermeister Dr. Dorsch ergänzt die Ausführungen des Bericht-
erstatters durch Angaben über den rassischen Wert und dem allgemeinen
Gesundheitszustand der Wolhyniendeutschen. Er regt an, das Lager sobald
wie möglich durch Abgabe der einwandfrei Gesunden an die Landwirtschaft
abzubauen, um erträgliche Lagerverhältnisse zu schaffen.
Bezirksbeirat Koch schlägt Schutzimpfungen in weitem Umfange vor, wenn sie
nach ärztlicher Ansicht geeignet sind, die Seuchengefahr abzuwenden oder
wenigstens stark herabzumindern.

(Tafel 4)
Kriegsgefangenenlager
Die Deutsche Reichsbahn wollte das Lager für Bauvorhaben im Bereich
Wuhlheide und Köpenick nutzen, vermietete es aber im Oktober
1940 an den “Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt” (GBI).
Die Albert Speer unterstehende Behörde baute das Lager in ein
Kriegsgefangenenlager um. Drei Wachtürme wurden errichtet,
Stacheldrahtzäune gezogen. Bereits im Oktober waren hier rund
1.600 kriegsgefangene Franzosen des Stalag III/D, Außenkommando
307, einquartiert. Zeitweise hatte das Lager bis zu 2.000 Insassen.
Sie arbeiteten auf verschiedenen Baustellen des GBI oder wurden
an zahlreiche kleine und große Berliner Firmen und Institutionen
“verliehen”. Der GBI nutzte das Lager bis zum Frühjahr 1942. Im
April 1942 wurden die letzten rund 1.000 verbliebenen Gefangenen
in ein Lager nach Britz (Neukölln) verlegt.

(Unter dem Text sind fünf Abbildungen)

1 Französische Kriegsgefangene im Stalag III/D in Berlin. Aus diesem
Lager kamen auch die Insassen des Lagers Kaulsdorfer Str. 90.

2 Lageplan vom 16.2.1942 mit eingezeichneten Wachtürmen und
Stacheldrahtzäunen

3 Französische Kriegsgefangene legten beiderseits der Lagerstraße
Brunnen an. Ein Brunnenschild trug in französischer Sprache die
Inschrift “Von den französischen Kriegsgefangenen geleistete Arbeit”.
[Die französische Inschrift: TRAVAIL EFFECTUE / PAR DES / PRISONNIERS DE GUERRE / FRANÇAIS.]

4 Unfallanzeige Roger Boessy. Er war wie viele andere französische
Kriegsgefangene zum Bau von Luftschutzbunkern in Berlin eingesetzt.
Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.

5 Zusammengestellt aus: Bundesarchiv, R 4606, Nr. 3853, Bl. 336ff.
[Die maschinenschriftliche Liste]
Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen aus dem Lager 1941 (Auswahl)
GBI Baustab Speer 11.487 Tagessätze
Luftgaukommando III, Sonderbauleitung 5.686 Tagessätze
Reichspostdirektion Berlin 4.790 Tagessätze
Fa. Siemens Schuckert Werke A.G. 1.620 Tagessätze
Verband Berliner Kohlenhändler 1.393 Tagessätze
Ortsbauernschaft Köpenick 564 Tagessätze
Fa. Adam Opel AG 534 Tagessätze
Niederbarnimer Eisenbahn 463 Tagessätze
Ortsbauernschaft Kaulsdorf 460 Tagessätze
Fa. Gebr. Schulz, Köpenick, Kaulsdorfer Str. 320 Tagessätze
Reichsfinanzzeugamt 310 Tagessätze
Bezirksamt Tempelhof, Gartenamt 310 Tagessätze
Ortsbauernschaft Lichtenberg 306 Tagessätze
Fa. Kali-Chemie AG 279 Tagessätze
Osthafenmühle AG 279 Tagessätze
Bezirksamt Neukölln, Gartenamt 279 Tagessätze
Viehcentrale GmbH, Magerviehhof 217 Tagessätze
Ortsbauernschaft Friedrichsfelde 102 Tagessätze
Reichsbahnneubauamt Wuhlheide 28 Tagessätze

Die Gedenkinstallation besteht aus vier hintereinander neben dem Fuß-/Radweg am westlichen Ufer der Wuhle aufgestellten gut zwei Meter hohen Stelen, die auf beiden Seiten jeweils beschriftet und bebildert sind. Auf jeder der insgesamt acht Seiten steht oben links im blauen Seitenstreifen der Bezug zum Ort ("Lager Kaulsdorfer Straße 90") und die Chronik. Auf allen Seiten befindet sich unten rechts das Impressum:

Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin
Abt. Jugend und Familie, Weiterbildung und Kultur
Amt für Weiterbildung und Kultur, Fachbereich Kultur, Bezirksmuseum
Konzept | Text | Redaktion:
Christa Hübner, Dorothee Ifland, Lutz Prieß, Daniela Schnitter
Design & Realisation: Helga Lieser
(Logos)
Gefördert aus Zuwendungen des Bezirkskulturfonds des Landes Berlin,
Fachbereich Kultur Marzahn-Hellersdorf
© Berlin 2013

Eingeweiht wurden die Stelen im Rahmen des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt" am 30.4.2013, denn am 30. April des Jahres 1942 wurde das Barackenlager von der Reichsbahndirektion Berlin übernommen und mit Zwangsarbeitern ("Ostarbeitern") belegt.

Die vier Stelen der Gedenkinstallation sind wegen der Menge an Information (Texte und Abbildungen) jeweils einzeln in der Abfolge ihrer Aufstellung aufgeführt.

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