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Hunger vs. Angst (Nikolaiviertel 13)
Hunger vs. Angst (Nikolaiviertel 13)

Hunger vs. Angst (Nikolaiviertel 13)

Poststraße 28

Ursprünglich stand die Gerichtslaube direkt am Berliner Rathaus –
gemeinsam mussten beide 1871 dem Roten Rathaus weichen.
Dabei traten unter den zahlreichen Umbauten Steine des mittelal-
terlichen Originals aus dem 13. Jahrhundert hervor. König
Wilhelm (später Kaiser) ließ dieses etwas sperrige Geschenk der
Berliner im Schlosspark von Babelsberg wieder aufrichten – allerd-
ings im neugotischen Stil. Vergeblich hatte sich der erste preußische
Denkmalkonservator F. von Quast schon im Vorfeld (1865) für den
Verbleib bzw. Wiederaufbau im historischen Kern Berlins eingesetzt.
Die Gerichtslaube hier spiegelt mit ihrem Renaissancegiebel die
Gestalt des Originals von ca. 1720 und wurde im Rahmen der
(Auf-) Baumaßnahmen zu den 750-Jahr-Feiern der Stadt errichtet.
Die Figur am Eckpfeiler ist der Kaak, der als Sinnbild des Spotts über
dem an den Pranger Gestellten thronte. Der Name rührt höchstwahr-
scheinlich vom Straßenkot her, in den man Deliquenten zu stoßen
pflegte.
Fast alle Aspekte der Rechtsprechung früherer Jahrhunderte waren
öffentlich und die Gerichtslaube damals ein dreiseitig offenes
Gewölbe. Der Bürger konnte und sollte die Prozesse ebenso
verfolgen wie die Vollstreckung meist drakonischer Urteile:
Für den Diebstahl von Heringen wurde 1402 ein minderjähriger
Junge aufgeknüpft, eine Frau für ein ähnliches Delikt gar lebendig
begraben. Der Kaufmann Hans Kohlhase ( Tafel 4) wurde hier zum
Tod verurteilt. Heinrich v. Kleist († 1811, Selbstmord im 1920 einge-
meindeten Berlin-Wannsee) machte ihn in einer Erzählung posthum
unsterblich.
Auch hier aufbewahrte Eichmaße, wie z.B. für die Mindestgröße des
auf dem Markt verkauften Fisches, waren so jederzeit zugänglich.
Das „Local für die öffentlich stattfindenden Acte der städtischen
Gerichtsbarkeit“ war schließlich ein Instrument der Ordnung.
Und ordnungshalber machte man hier 1390 sogar einer Leiche den
Prozess: Ritter Erich Valke von Lietzenburg auf Saarmund hatte im
Streit mit Berlin den schwersten Brand der Stadtgeschichte gelegt und
war, nach zehn Jahren Hatz endlich ergriffen, sofort getötet worden.
Es folgten der Prozess, das Urteil und die Enthauptung.
Der abgeschlagene Kopf wurde ausgestellt.


A public affair:
Originally, the Gerichtslaube (‘Court Pavilion’) was attached
to Berlin’s City Hall. Both were removed in 1871, however,
to make way for the new Rotes Rathaus (‘Red City Hall’).
During the demolition, masonry works from the original
thirteenth-century building were found. Kaiser Wilhelm
accepted this bulky gift from the citizens of Berlin, and had
the Gerichtslaube reconstructed in a neo-Gothic style in
the Babelsberg Palace Park. The building before you was recon-
structed in 1987 to commemorate the 750th anniversary of
the city’s founding.
The small figure on the cornerstone is the so-called Kaak, a
symbol of derision for those chained to the pillory formerly
located below.
Ancient order:
In past centuries, almost all aspects of jurisdiction were public
affairs. The citizenry was both permitted and encouraged to
follow legal proceedings; the court at this location was
formerly open on three sides. The judgements were regularly
of draconian harshness: In 1402 an adolescent boy was
hanged for stealing herrings, and in the same year a woman
was buried alive for a similar offence. The merchant Hans
Kohlhase (panel 4) was sentenced to death in 1540 – a
figure immortalized by Heinrich von Kleist († 1811 by
suicide in Berlin-Wannsee) in one of his novels.
The court also provided weights and measures for public use;
measuring rods to ensure that fish being sold were of the
necessary size was available here, for example.
Following a dispute with local authorities, Erich Valke von
Lietzenburg, a knight, set fire to the city, the most devastating
in Berlin’s history. After a ten-year manhunt he was appre-
hended and killed in 1390. A trial was subsequently held for
his corpse, a guilty verdict issued, and the body beheaded.
After all, the court was an instrument of order.

Jede der 19 Gedenktafeln ist Teil des historischen Pfades, der quer durch die Berliner Altstadt des gesamten Nikolaiviertels konzipiert wurde. Mithilfe der Nummerierungen und einer Karte des Stadtviertels, die auf jeder der Tafeln unten links abgebildet ist, kann eine Stadtführung in eigenem Tempo vorgenommen werden. Die mit Bildern ausgeschmückten Informationen in deutscher und in englischer Sprache erzählen die bis ins 12. Jahrhundert zurückgehenden sowohl amüsanten als auch bestürzenden Geschichten zu den Gebäuden und berühmten Persönlichkeiten.

Die dreizehnte Gedenktafel ist auf der Poststraße links von einem in der Wand eingebauten Torbogen und rechts von dem Restaurant „Zur Gerichtslaube“ an der Außenwand angebracht. Namensgeberin des Restaurants war die mittelalterliche Berliner Gerichtslaube, dessen Geschichte vom Umzug und Umbau und von den Aspekten der öffentlichen Rechtsprechung, mit drastischen Beispielen, auf der Tafel erzählt wird.

Die Bildunterschriften von links nach rechts lauten:

Querschnitt der Gerichtslaube

Berliner Halsgericht

Gerichtslaube und das alte Berliner Rathaus

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