Der Jüdische Friedhof in der Großen Hamburger Strasse
Große Hamburger Straße 26
Sie befinden sich auf dem ältesten jüdischen Friedhof
in der Stadt Berlin. Die Anlage wurde 1672 eröffnet,
1827 geschlossen und 1943 zerstört.
Er beherbergt eine nicht genaue bekannte Zahl von
Toten, wahrscheinlich aber wurden hier mehr als
10.000 Berliner Juden bestattet. Hinzu kommt eine
größere Zahl von zivilen und militärischen Kriegs-
opfern aus dem Jahr 1945.
Heute ist dieser Ort eine als Friedhof gekennzeich-
nete Grünanlage, auf der neben einigen Steinresten
sich das erneuerte Grabmal für Moses Mendelssohn
befindet.
Der ursprüngliche Eingang zum Friedhof lag an der
Oranienburger Straße Nr. 6, später führte er durch
das daneben gelegene jüdische Altersheim in der
Großen Hamburger Straße Nr. 26.
Die Entstehung des Friedhofs war die Folge des
Ediktes des Großen Kurfürsten vom 21. Mai 1671, in
welchem fünfzig aus Wien vertriebenen jüdischen
Familien die Niederlassung gestattet wurde.
Zuvor waren im Jahre 1573 die Juen für etwa ein-
hundert Jahre aus der Mark Brandenburg vertrieben
worden.
Ein Jahr nach der Neugründung der Jüdischen
Gemeinde zu Berlin erwarb Mordechai Model, auch
Model Riess genannt, ein später insgesamt 5.900 qm
großes Grundstück, das als Friedhof für die Gemein-
de dienen sollte. Das Terrain lag vor dem damaligen
Spandauer Tor und eine erste Bestattung fand bereits
im Mai 1672 statt. Die dazugehörige Grabtafel hat
sich bis zum heutigen Tag erhalten.
Zwischen 1672 und 1752 wuchs die Gemeinde nur
langsam. Wohl auch aus diesem Grunde nutzten
auch andere Gemeinden den Friedhof als Begräbnis-
platz, so z. B. bis 1743 die der Juden von Potsdam.
Insgesamt kann für die Zeit von 1751 bis 1823 von
7.063 Begräbnissen ausgegangen werden. Für die
Zeit davor existieren keinerlei Angaben.
Das Ende des Friedhofs hing mit einer 1794 erlas-
senen Bestimmung des Preußischen Allgemeinen
Landrechts zusammen, die besagte, dass »in den
Kirchen und in den bewohnten Gegenden der
Städte keine Leichen beerdigt werden sollten.«
Zunächst hatte diese neue Vorschrift für den
jüdischen Friedhof wegen dessen abgelegener Vor-
stadtlage keine unmittelbaren Folgen. Nach einem
ersten Vorstoß im Jahre 1799 kam es dann allerdings
am 7. Dezember 1817 zu einer ultimativen Auf-
forderung von Seiten der Regierung.
Binnen eines Vierteljahres hatte die Jüdische
Gemeinde einen geeigneten und dabei außerhalb
der Stadt liegenden Begräbnisplatz nachzuweisen,
worauf diese ein Gelände an der heutigen Schön-
hauser Allee erwarb.
Später wurde diese Begräbnisstätte durch den
heutigen jüdischen Friedhof in Berlin – Weißensee
ersetzt. Zwischen 1817 und 1827 bedurften im
übrigen die letzten Beisetzungen auf dem alten
Friedhof stets der persönlichen Zustimmung des
Königs.
Unmittelbar nach der Schließung des Friedhofes
errichtete 1828 die jüdische Gemeinde an dessen
Rande an der Großen Hamburger Straße Nr. 26 das
schon erwähnte Altersheim.
Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts offenbarte
sich eine gewisse Vernachlässigung des Anlage,
weshalb es im Jahre 1861 zu einem Aufruf für die
Renovierung der Grabmale von vier jüdischen
Schriftstellern kam. Etwa im Jahr 1880 wurde dann
der Friedhof wiederhergestellt, wobei es allerdings
zu einigen Verlusten kam, was ein Zeugnis aus dem
Jahre 1928 belegt: »Die Zeugen dieser ältesten Zeit,
die ersten primitiven Grabsteine sind zum großen
Teil verschwunden; verwittert, zerfallen, versunken.
Was geblieben ist,- und das ist noch zahlreich genug,
- das hat liebevolle, wenn auch nüchterne Pflegehand
neuerer Zeit sorgfältig aufgerichtet, geordnet und
für die Nachwelt aufbewahrt. Baum- und Strauch-
gruppen, grüne Rasenflächen mildern die Eintönig-
keit der grauen Steine; während der südliche und
westliche Teil durch die größere Zahl der in Reihen
geordnete Grabmale noch ganz den Eindruck des
Friedhofs macht, verleihen die gärtnerischen Anla-
gen dem übrigen Teil, auf dem die Grabmale nur
sporadisch zu finden sind, fast ganz den Charakter
des Parks.«
Ungeachtet der Schönheit der wiederhergestellten
Anlage hat zu dieser Zeit der Friedhof auch ganz
ausdrücklich als AnschauungsmateriaI für den
naturkundlichen Unterricht der benachbarten Kna-
benschule gedient. Dementsprechend wurde ein Teil
seiner Fläche damals auch als Schulgarten genutzt.
Diese jüdische Knabenschule wurde im übrigen im
Jahre 1863 eingerichtet.
Was den weiter oben bereits erwähnten ursprüng-
lich eher strengen Charakter des Friedhofs anbe-
langt, so mag dies mit der Kargheit des jüdischen
Bestattungsrituals zusammenhängen. Ursprünglich
jedenfalls »erscheint der Friedhof wie eine Insel im
weiten Meere; draußen pulsiert das volle Leben
durch die Adern der Residenz, hier verfällt sein
Geräusch in ein dumpfes Brausen gleich ferner
Brandung; zuweilen ertönt aus dem niedrigen Busch-
werk kurz abgebrochen der melodische Schlag eines
Finken, worauf Stille und Einsamkeit um so tiefer
hervortritt. Ernst und düster blicken tausende von
Leichensteinen aus dem grünen Rasen hervor,
einfache graue, oben abgerundete Steine… In dem
nach Norden gelegene Theile unterbricht kein
hervorragendes Monument die Gräberreihen, deren
Gleichförmigkeit und Massenhaftigkeit den
Betrachtenden niederdrückt und ein Gefühl der
Oede erweckt, das ihn noch lange beherrscht und im
Vollgenuß des Lebens, inmitten unserer hoffnungs-
reichsten Pläne an die Vergänglichkeit alles Irdischen
mahnt.«
Dieser von Hermann Jacoby im Jahre 1865 wieder-
gegebene Eindruck resultierte sicherlich auch
daraus, dass die Anlage damals nach fast allen Seiten
noch von hohen Gebäuden umgeben war. Nur nach
Norden hin begrenzte sie ein freier Platz, nämlich
der Sophienkirchhof mitsamt der Sophienkirche.
Und zugleich haben die Chronisten hervorgehoben,
dass im leicht geschwungenen VerIauf der Grabmals-
reihen, der Friedhof damals auch Momente von
spielerischer Leichtigkeit aufwies.
Bei einem großen Brand in der Oranienburger
Straße, dessen Datum nicht genau bekannt ist,
wurden deshalb viele der hölzernen Grabmale
durch die Feuerwehr, die den Friedhof überfahren
musste, zerstört. Von Leiser Landshuth, dem Fried-
hofsinspektor von 1861-1887, konnten so gegen
Ende des 19. Jahrhunderts nur noch 2.766 Grab-
stätten mit ihren Namen, Daten und Inschriften
gezählt werden. Damit waren zu dieser Zeit nur
noch knapp ein Viertel der ursprünglichen Grab-stellen vorhanden.
Die Gestalt des Friedhofsinspektors Landshuth ist
legendär. Der Feuilletonist Julius Rodenberg berich-
tet von einem Zusammentreffen mit Landshuth kurz
vor dessen Tod im Jahre 1887: »Zögernd nur, wie ich
sie gezogen, meldet die Glocke mich im Innern an;
undeutlich durch das Wagengerassel, das in diesen
Straßen nicht aufzuhören scheint, vernehme ich
nahende Schritte, die Tür wird mir von einer
freundlichen Dame geöffnet, und noch bevor ich den
Friedhof betrete, mache ich die Bekanntschaft ihres
Oheims, des Friedhofsinspektors Landshuth. Der
Herr Inspektor ist ein Mann von neunundsechzig
Jahren und das Bild eines anspruchslosen jüdischen
Gelehrten.
Die Fenster seines Studierzimmers gehen nach dem
Friedhof; die eine Wand ist ganz mit Büchern und
Schriften bedeckt, an der anderen hängen zahlreiche
größere und kleinere Porträts jüdischer Berühmt-
heiten, den Ehrenplatz in der Mitte nebeneinander
haben Lessing und Mendelssohn ... Hier mitten in
Berlin. in einer seiner bevölkertsten Gegenden, lebt
dieser Mann, wie weit von ihm geschieden, ein Leben
der Vergangenheit. Er lebt mit seinen Toten, und seine
Toten leben mit ihm: er lebt mit ihnen wie in einer
großen Familie, ist vertraut mit jedem Grabstein, hat
viele von den ältesten überhaupt erst wieder
aufgerichtet, deren Inschriften entziffert, manche
ganz neu wiederhergestellt und hält sie alle in
musterhafter Ordnung. Er kennt genau die Ge-
schichte jedes einzelnen dieser unzähligen Toten,
von denen nichts mehr ist als ein eingesunkener Hügel
und ein Name, die vielfachen Familienverzweigungen
bis auf den heutigen Tag, ihre ehemaligen Wohn-
stätten und deren Veränderungen im Laufe der Zeit.
Auf diesem Friedhofe ruhen die Väter der jetzigen
jüdischen Gemeinde von Berlin, sie, die vor zwei-
hundert Jahren aus Wien kamen; die Vorfahren aller
gegenwärtigen Größen jüdischen Ursprungs und
unter ihnen nicht wenige, deren Nachkommen,
ihrem jüdischen Ursprung entfremdet, hohe Stel-
lungen im Staat und in der Beamtenwelt einnehmen.
Aber für den Herrn Inspektor gehören sie noch
immer zur Familie, und mit derselben Liebe und
Pflege hegt er ihr Gedächtnis.«
Als weiterer Beleg für dies ausgeprägte jüdische
Geschichtsbewusstsein bzw. familiäre Zusammen-
gehörigkeitsgefühl mag auch die Tatsache dienen,
dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einem
Enkel in achter Generation ein Gedenkstein für den
im Jahre 1672 zuerstbestatteten Gumpericht Jechiel
Aschkenasi errichtet wurde; dies geschah nach gut
zweihundert Jahren. Herausragender Grabstein war
im übrigen derjenige von Moses Mendelssohn,
welcher bisher als einziger auf dem jüdischen
Friedhof wiederhergerichtet worden ist. Die
Grabstätte Moses Mendelssohns übte auf viele
seiner Verehrer eine große Anziehungskraft aus und
war so oft der Anlass für einen Besuch des Fried-
hofs. Mendelssohn lebte von 1729 bis 1786.
Er war Philosoph und Freund Lessings und wurde
berühmt als Vorkämpfer der Aufklärung. Etwa 1880
wurde die Grabstelle Mendelssohn ersetzt und zwar
durch einen großen Granit mit goldenen Lettern
und einem Grabgitter. Dieser Stein wurde nach der
Zerstörung des Friedhofes 1962 durch einen
schlichten Muschelkalkstein ersetzt. Ein weiterer
Austausch erfolgte 1990.
Von den ursprünglich tausenden Gedenksteinen
sind heute nur noch fünfzehn übriggeblieben. Sie
lagern derzeit auf dem Jüdischen Friedhof
Weißensee, nachdem sie Ende 1989 wegen fort-
schreitender Verwitterung aus der südlichen Fried-
hofsmauer entfernt worden sind. Diese Mauer
wurde wahrscheinlich um das Jahr 1884/85 herum
erbaut, wobei die erhalten gebliebenen Steine
mitsamt ihren Sockeln darin einbezogen wurden. Es
handelt sich bei diesen Steinen um die ältesten des
Friedhofs, da dessen Belegung von Süden bzw.
Südosten her begonnen wurde.
Verschiedene frühere Besucher des Friedhofs
bestätigen die Existenz einer eigenen Rabbinerreihe
und zwar in der ersten Reihe an der Südseite. Darauf
folgten die ältesten Grabsteine in der südöstlichen
Ecke, welche eine Art Ehrenreihe für die aus Wien
vertriebenen Begründer der neuen Berliner
jüdischen Gemeinde darstellten.
Unter den erhalten gebliebenen ältesten Steinen
befindet sich neben dem des Erstbestatteten
Aschkenasi auch der des Friedhofsgründers Model
Riess. Der Zerstörungswut der Gestapo entgingen
sie nur durch ihre feste Verankerung in der
Friedhofsmauer. Der grauenhafte Vernichtungswillen
der Nationalsozialisten führte in den Jahren nach
Beginn des 2.Weltkrieges nicht nur zur Zerstörung
und völligen Planierung des Friedhofsgeländes -
1943 ließ man quer durch die Anlage einen Splitter-
graben ziehen, ihn mit Grabsteinen schleifen und die
Gebeine der Toten hinauswerfen - sondern auch
dazu, dass die Gemeindegebäude zu Gefängnissen
wurden, für deren Insassen der alte Friedhof den
Gefängnishof bildete. 1941 richtete die Gestapo in
dem bisherigen Altersheim der jüdischen Gemeinde
ein Sammellager ein, von dem aus die Deportationen
ihren Weg nahmen. Der abgeräumte Friedhof wurde
von den Wachmannschaften als Sportplatz für das
Sammellager benutzt und in den letzten Kriegstagen
wurden 2.427 Kriegstote auf der Anlage bestattet.
Der alte jüdische Friedhof in der Großen Ham-
burger Straße wurde im September 1948 wieder in
die Obhut der jüdischen Gemeinde gegeben.
Seit 1974 ist der Friedhof Grünanlage und steht
unter Denkmalschutz.
Eine vom Bildhauer Will Lammert ursprünglich für
Ravensbrück 1985 geschaffene Figurengruppe aus
Bronze erinnert an die Leiden der durch die
Nationalsozialisten Umgebrachten und Verfolgten.
Entsprechendes gilt für eine mit deutschen und
hebräischen Inschriften versehene Gedenktafel.
Ungeachtet der Schändung und Zerstörung des
Friedhofs handelt es sich bei ihm gleichwohl um eine
letzte Ruhestätte vieler Juden und damit um eine
Erinnerung an deren reiche Geschichte bzw.
verhängnisvollen Untergang.
Die Jüdische Gemeinde und das Landesdenkmalamt
Berlin bemühen sich, dem Begräbnisplatz durch
umfangreiche Sanierungs- und Pflegemaßnahmen
wieder ein seiner Bedeutung entsprechendes
würdevolles Erscheinungsbild zu geben.
Die rekonstruierbare Ordnung seiner Steine, ihre
ebenfalls bekannten Formen und die 2.767 überlie-
ferten Namen, Daten und Inschriften würden in
jedem Falle eine tragfähige Grundlage für eine
solche Restaurierung bieten.
Den erhalten gebliebenen 15 Steinen käme bei
diesem Vorhaben sicherlich dabei eine herausgeho-
bene Bedeutung zu.
Diese Informationstafel befindet sich direkt hinter dem Friedhofseingang von der Großen Hamburger Straße aus zur linken Seite.
Diese blaue Informationstafel geht zurück auf eine Idee des Landesdenkmalamts. Weitere Tafeln desselben Designs existieren im gesamten Stadtraum Berlins. Die Tafeln sind gerahmt von einem Stahlgestell, die Texte und Bilder befinden sich auf einer beschichteten Kunststoffplatte.
Die Bildunterschriften entsprechend der Einbettung im Fließtext:
[1] Das Grabmal Moses Mendelssohns, 4. Fassung, nach 1990.
[2] Blick auf den Friedhof, Ölgemälde um 1890.
[3] Grabmal Moses Mendelssohns, 2. Fassung um 1880.
[4] Figurengruppe von Will Lammert, am Friedhof.
[5] Erhaltende Sarkophaggräber, Foto 1986.
[6] Verschollenes Portrait Moses Mendelssohns, von Rode 1768.
[7] Blick auf die Südwand, Foto vor 1989.
[8] Ausschnitt aus einem Plan von Selter, um 1804.
[9] Blick auf den Friedhof, Foto um 1930.
Angaben zu genutzten Quellen:
Literaturhinweise:
M. Brocke, E. Ruthenberg, K. E. Schulenburg: Stein und
Name - Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland,
Berlin 1994,
Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin, Berlin 1979,
Julius Rodenberg: Bilder aus dem Berliner Leben, Berlin
(1891), 1987,
Herma n Jacoby: Ein Besuch auf dem jüdischen
Friedhofe zu Berlin - in: Der Israelit, Nr. 44/45-1865,
Hermann Falkenberg: An der Grabstätte Moses
Mendelssohns - in: Die Gemeinschaft. Hefte für die
religiöse Erbauung des Judentums, Hrsg. von der
liberalen Synagoge in Berlin Nr. 15 (7.12.1928)
Jörg Fehrs: Von der Heidereuter Gasse zum Roseneck,
Berlin 1993