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Berliner Antisemitismusstreit

Berliner Antisemitismusstreit

Treitschkestraße

Harry-Bresslau-Park
‘Antisemitismusstreit’

Der Berliner ‘Antisemitismusstreit’ 1879-1881

Angriff auf den Liberalismus
Der Historiker Heinrich von Treitschke gab die „Preußischen Jahrbücher,
Berliner Monatsschrift für Politik, Geschichte und Literatur” heraus. Im
November 1879 erschien dort Treitschkes Artikel „Unsere Aussichten”,
in dem er eine „innere Reichsgründung” forderte mit entschiedenem
Kampf gegen angebliche „innere Reichsfeinde”. Seine umfassende
Abrechnung galt dem politischen und weltanschaulichen Liberalismus,
dem er selbst und die Mehrheit des deutschen Bürgertums bisher
anhingen. So agitierte er gegen eine breite Volksbildung, die nur der
„Verwilderung der Massen Vorschub geleistet” habe und gegen eine
„weichliche Philanthropie” als falsches Zeichen der Zeit. Schließlich
folgte der pauschale Angriff auf „die Juden”:

mit antijüdischen Phrasen
Die Juden hätten sich für die Emanzipation (rechtliche Gleichstellung
ab 1869) nicht dankbar gezeigt. In der antijüdischen Agitation sei zwar
viel Rohheit und Schmutz, dennoch handele es sich um „eine natürliche
Reaktion des germanischen Volksgefühls gegen ein fremdes Element.”
Die Juden hätten am Gründerschwindel einen großen Anteil,
beherrschten die Börse und die liberale Presse. Deshalb wolle er mit
dem Tabu des Beschweigens jüdischer Fehler brechen. Er forderte
die „israelitischen Mitbürger” auf, Deutsche zu werden. Es gelte zu
verhindern, „dass auf die Jahrtausende germanischer Gesittung ein
Zeitalter deutsch-jüdischer Mischkultur folgt.” Eine Rücknahme der
Emanzipation lehnte er zwar ab, jedoch infolge seiner überzogenen
Formulierungen wurde Treitschke seitdem als Antisemit betrachtet:
„Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die
jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuts
mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem
Munde: die Juden sind unser Unglück!”

Juden vorerst allein gelassen
Die ersten Reaktionen kamen von antisemitischen Agitatoren (begeistert)
und von jüdischen Akademikern (entsetzt). Treitschke als bekannter
Professor hatte dem Antisemitismus eine scheinbare Berechtigung
verschafft. Jüdische Autoren widerlegten die Argumente Treitschkes
und wiesen auf den demagogischen Charakter des Textes hin. Prof.
Harry Bresslau ordnete in seiner Entgegnung Treitschkes Angriff in
den politischen Zusammenhang ein: bereits seit 1875 werde der
Liberalismus auch mit antijüdischen Argumenten bekämpft, um
reaktionäre und schutzzöllnerische Mehrheiten im Parlament zu
erreichen.

bis Mommsen widerspricht
Das öffentliche Interesse wuchs erheblich, als ab März
1880 mit dem Althistoriker Prof. Theodor Mommsen eine Treitschke
gleichrangige Persönlichkeit Partei ergriff. Mommsen warf seinem
Fakultätskollegen vor, ein schweres Unrecht an den Juden zu begehen
und deren erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft zu
beschädigen. Mommsen war auch unter den 75 Berliner Persönlich-
keiten des öffentlichen Lebens, die im November 1880 in einer Presse-
erklärung Treitschke widersprachen. Die wiederholt nachgedruckten
Texte zum „Treitschkestreit” erreichten eine große Verbreitung.
Norbert Kampe

Rückwärtige Seite:
Harry-Bresslau-Park
Harry Bresslau
geb. 22.3.1848, Dannenberg (Elbe); gest. 27.10.1926, Heidelberg
Historiker, Direktor der Monumenta Germania Historica

Jüdischer Professor
Bresslau musste als Sohn einer verarmten jüdischen Bankiersfamilie
das Studium der Geschichte und klassischen Philologie selbst
finanzieren. Ungeachtet bester Zeugnisse bezweifelte er, als Jude
eine Professur zu erhalten. Bresslau arbeitete deshalb nach seinem
Oberlehrerexamen immer wieder zeitweise an jüdischen Schulen in
Frankfurt und Berlin. 1872 habilitierte er an der Berliner Universität,
wurde 1877 außerordentlicher Professor und übernahm die Lehr-
aufgaben des vakanten Lehrstuhls für mittelalterliche Geschichte.
Gleichzeitig wurde er ein herausragender Mitarbeiter, später lang-
jähriger Mitdirektor der bedeutendsten wissenschaftlichen Edition
mittelalterlicher Quellen (der Monumenta Germania Historica).

wird nicht Ordinarius in Berlin
Bresslau war nicht bereit, um seiner akademischen Karriere willen
zum Christentum überzutreten. Als ihn der Fachbereich 1881 mehrheitlich
dem Ministerium für eine ordentliche Professur vorschlug, gab Prof.
Treitschke ein abweichendes Votum ab: Es sei falsch, „den einzigen
ordentlichen Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte, die mit der
Geschichte der christlichen Kirche unzertrennlich zusammenhängt,
einem Nicht-Christen anzuvertrauen.” 1886 scheiterte ein weiterer
Versuch, Bresslau als Ordinarius an der Berliner Universität zu halten.
1891 vermittelten ihm Beamte des preußischen Kultusministeriums
eine ordentliche Professur in Straßburg. 1918 wurde Bresslau als
angeblich militanter deutscher Nationalist aus dem nun wieder
französischen Elsass ausgewiesen.

Heinrich von Treitschke
geb. 15. Sept. 1834 in Dresden; gest. 28. Apr. 1896 in Berlin
Historiker, politischer Publizist, Abgeordneter im Reichstag

Vom liberalen Sachsen
Treitschke entstammte einer sächsisch protestantischen Offiziers-
familie. Er studierte Geschichte und Nationalökonomie und wurde
1863 in Freiburg zum außerordentlichen Professor ernannt. Ab 1874
hatte er eine ordentliche Professur in Berlin.

zum aggressiven Nationalisten
In seinen Vorlesungen und Veröffentlichungen ergriff Treitschke immer
Partei und beurteilte historische Personen und Politiker seiner Zeit
grundsätzlich danach, wie sich diese zu Preußens „historischer Mission”
verhielten, einen starken deutschen Nationalstaat zu verwirklichen. Seine „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert” hatte großen Einfluss
auf das Bürgertum.
Treitschke teilte ursprünglich liberale Überzeugungen, zu denen auch
die Forderung nach Gleichstellung der Juden gehörte. Treitschke
äußerte allerdings antijüdische Vorurteile, wenn auch vorerst nur privat.
Im Konflikt um die preußische Heeresreform ab 1859 kritisierte er die
Missachtung des Parlaments durch Bismarck. Nach Errichtung des
Kaiserreichs wurde er jedoch zum bedingungslosen Anhänger des
Reichskanzlers, den er als Abgeordneter im Reichstag von 1871 bis
1884 unterstützte. Als Bismarck 1879 eine antiliberale Mehrheit im
Reichstag zustande brachte, verließ Treitschke die Nationalliberale
Partei. Mit seinen folgenden publizistischen Angriffen auf die Juden
brach Treitschke endgültig mit seiner eigenen liberalen Vergangenheit.
Norbert Kampe

Mit der am 21.11.2008 erfolgten Benennung des relativ schmalen Grünstreifens in Harry-Bresslau-Park wurde zugleich die „Historische Information" enthüllt. Dies war die Reaktion der schwarz-grünen Zählgemeinschaft im Bezirk auf die seit Jahren geforderte Umbenennung der Treitschkestraße, der sich die örtliche CDU bisher verweigert hatte und dafür in der BVV auch die notwendigen Mehrheiten fand. Die Tafel steht an einer Wegekreuzung in Höhe von Haus Nr. 11 relativ nah zur Lepsiusstraße. Konzipiert und gestaltet wurde die Tafel von Karin Rosenberg.
Beigesetzt ist Treitschke auf dem Alten St. Matthäus-Friedhof, Großgörschenstraße 12-14, Feld Q-O-016.

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