Homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus
U-Bahnhof Nollendorfplatz (Ausgang Motzstraße)
TOTGESCHLAGEN
TOTGESCHWIEGEN
DEN
HOMOSEXUELLEN OPFERN
DES
NATIONALSOZIALISMUS
[unten:]
DER ROSA WINKEL WAR DAS ZEICHEN,
MIT DEM DIE NATIONALSOZIALISTEN
HOMOSEXUELLE IN DEN KONZEN-
TRATIONSLAGERN IN DIFFAMIERENDER
WEISE KENNZEICHNETEN.
AB JANUAR 1933 WURDEN FAST
ALLE RUND UM DEN NOLLENDORFPLATZ
VERTEILTEN HOMOSEXUELLEN LOKALE
VON DEN NATIONALSOZIALISTEN
GESCHLOSSEN ODER ZUR ANLEGUNG
VON "ROSA LISTEN" (HOMOSEXUELLEN-
KARTEIEN) DURCH RAZZIEN MISSBRAUCHT.
Die dreieckige Tafel aus rotem Granit (in der Form der KZ-Häftlingsabzeichens) wurde am 24.6.1989 enthüllt, die darunter angebrachte Bronzetafel am 10.11.1993. Der Ort für die Tafel erkläre sich dadurch, schrieb Der Tagesspiegel am 20.6.1989, dass die Umgebung des Nollendorfplatzes besonders in der Weimarer Zeit ein Zentrum der homosexuellen Szene mit einer Vielzahl entsprechender Lokale gewesen sei. Und weiter: "Ein solches Mahnmal war seit einigen Jahren von der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche gefordert worden."
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden homosexuelle Männer auf Basis des §175 verfolgt, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Der Paragraf existierte seit dem Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches am 1. Januar 1872 und wurde 1935 dahingehend verschärft, dass nun bereits Blicke und Gesten als strafbar galten. Diese Verschärfung öffnete willkürlichem Terror Tür und Tor. In der völkischen Ideologie des NS-Staates galt Homosexualität nicht länger „nur“ als Straftat und „Sittlichkeitsvergehen“, sondern zusätzlich als existenzielle und unmittelbare Bedrohung der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“. Bei der Verfolgung von Homosexuellen ging es also nicht mehr allein um eine angebliche „Verbrechensbekämpfung“, sondern um die Vernichtung von sogenannten „Volksschädlingen“. Diese „Bekämpfung“ wurde nicht nur von NS-eigenen Institutionen wie der SS getragen, sondern vor allem von der Polizei, die schwule Männer auf sog. „Rosa Listen“ registrierte, die bereits im Deutschen Kaiserreich als Verfolgungsinstrument genutzt worden waren. Insgesamt erfasste die Polizei so rund 100.000 Männer, über 50.000 wurden auf Basis des §175 verurteilt und um die 10.000 Männer in Konzentrationslager verschleppt, wo die SS sie mit einem rosa Winkel markierte. Einige wurden in Haft unter dem Vorwurf des „entarteten Geschlechtstriebes“ zwangskastriert, über 50 Prozent wurden ermordet. Die Mehrheitsgesellschaft beteiligte sich aktiv an der Verfolgung und Inhaftierung von als homosexuell verfolgten Männern: In Berlin gingen rund 50% der Verfahren auf Basis des §175 auf Anzeigen aus der Zivilgesellschaft zurück.
Lesbische bzw. queere Frauen wurden nicht auf Basis des §175 verfolgt, der sich explizit gegen Männer richtete. Die Sexualität von Frauen spielte in den patriarchalischen Strukturen des NS-Staates keine Rolle; zu ihrer Funktion als Ehefrau und Mutter konnten Frauen ungeachtet ihrer eigenen sexuellen Orientierung mit Gewalt gezwungen werden. Seit 1938 wurden lesbische Frauen jedoch vom „Rassenpolitischen Amt“ der NSDAP in einer sog. „Lesbenkartei“ registriert und unter dem Vorwurf der „Unzucht“ und „Prostitution“ auch in Konzentrationslager eingeliefert. Hier wurden sie jedoch nicht mit dem rosa Winkel, sondern entweder mit dem schwarzen („asozial“) oder mit dem grünen Winkel („Berufsverbrecherin“) markiert, in der Lagerstatistik aber zusätzlich oft als „lesbisch“ registriert.
In der DDR wurde die durch die Nationalsozialisten erfolgte Verschärfung des §175 im Jahr 1950 gestrichen, 1957 wurde der gesamte Paragraph mit der Strafrechtsreform von 1957 dann gänzlich aufgelöst. In der Bundesrepublik blieb die Verschärfung aus dem Jahr 1935 als explizit nationalsozialistische Gesetzgebung bis 1969 intakt. Zwischen 1950 und 1965 wurden rund 50.000 Männer auf Basis dieses Paragrafen rechtskräftig verurteilt. Endgültig wurde der §175 erst 1994 aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. 2002 hob der Bundestag die zwischen 1933 und 1945 nach §175 gefällten Urteile auf, erst 2017 – fünfzehn Jahre später! – zusätzlich auch die Urteile, die nach 1945 in der Bundesrepublik erfolgt sind.