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Gedenkort Rummelsburg Gruppe D Timo Zilli

*1945

Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Mit 17 Jahren verließ ich mein Eltern-
haus in Rom, weil ich nicht zum Militär-
dienst wollte. Ich lebte in Norwegen,
Schweden, Island und England, bevor
ich nach West-Berlin kam. Vier Monate
war ich bei Siemens, dann arbeitete ich
als Dachdecker für verschiedene Bau-
firmen. 1968 engagierte ich mich in der
Studentenbewegung, u.a. als Dolmet-
scher für Italienisch und Spanisch.
Im November 1970 wurde ich von
Volkspolizisten verhaftet, als ich durch
den Transitbereich des S-Bahnhofs
Friedrichstraße ging. Ich kam von einer
Feier mit Arbeitskollegen und war
betrunken. Soweit ich mich erinnere,
gab mir plötzlich ein Vopo einen Stoß.
Es folgten ein Gerangel, Schläge und
Schreie, die Festnahme, ein Verhör am
Alexanderplatz und U-Haft im Stasi-
gefängnis Pankow. 1971 verurteilte
mich ein Gericht wegen „staatsfeind-
licher Hetze“ und „Widerstand gegen
staatliche Maßnahmen“ zu zwei Jahren
und sechs Monaten Haft.
In Rummelsburg gaben sie mir einen
neuen Namen: 856082. Das war meine
Häftlingsnummer, die ich in der Zelle
auswendig lernen musste. Ich kam ins
„Westkommando“. Für den VEB Elektro-
Apparatewerke Treptow (EAW) lötete
ich Schiffsrelais. „Einbauen – Ausbauen
– Wegwerfen“ nannte ich den Einsatz -
und erhielt drei Tage „Absonderung“.
Mehrfach wurde ich mit langer Dunkel-
haft bestraft, etwa weil ich keine
höheren Arbeitsleistungen bringen
wollte und mir auch sonst nichts ge-
fallen ließ. Ein halbes Jahr vor Ablauf
der Strafe wurde ich im November
1972 im Rahmen einer Amnestie frei-
gelassen. 27 Jahre alt war ich damals.
Zurück im Westen glaubten mir die
Freunde meine Berichte nicht. Erst
nach dem Fall der Mauer fand ich
endlich Gehör – In[!] einem Zentrum für
Folteropfer. „Ich habe keine Rachege-
fühle“, sagt Timo Zilli selbst. „Nur eins
würde ich gerne noch wissen: Warum
haben sie das getan?“

[rechte Spalte]
Timo Zilli
geb. 1945

[Abbildung]
„Zum Appell und zur Zählung“, Zeichnung von Timo Zilli
‚Line up for Roll Call‘, drawing by Timo Zilli

I left my parent’s house in Rome when
I was seventeen because I didn’t want
to do military service. I lived in Norway,
Sweden, Iceland and England before
I came to West-Berlin.
I worked for Siemens for four months
and then as a roof tiler. In 1968, I be-
came involved in the student move-
ment, where I was as interpreter for
Italian and Spanish.
In November 1970, I was arrested by the
People’s Police while going through the
transit area at Friedrichstraße Station.
I was returning home after celebrating
with some workmates and I was drunk.
As far as I can recall, a policeman sud-
denly pushed me. Then there was a bit
of a tussle, some punches and shouting,
the arrest, an interrogation at Alexan-
derplatz, and pretrial detention at the
Stasi prison in Pankow. In 1971, a court
sentenced me to two years and six
months imprisonment for ‘anti-state
activities’ and for ‘resisting state
measures’.
At Rummelsburg they gave me a new
name. 856082. It was my prisoner num-
ber. I had to learn it off by heart in the
cell. I was put in the ‘West Commando’.
I was employed soldering ships’ relays
for the VEB Elektro-Apparatewerke
Treptow. I was often punished by being
confined in a darkened cell for a long
time because I did not want to work
harder, for instance, and refused to play
the game. I was released six months
before my sentence ended: that was
in November 1972, as part of an amn-
esty. I was twenty-seven at the time.
My friends in the West didn’t believe
what I told them. “I have no desire to
take revenge,” Timo Zilli says now. “But
there’s one thing I’d like to know: Why
did they do it?”

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für Matthias Bath und Hartmut Richter an der Friedrich-Jacobs-Promenade in Höhe des Hauses Georg-Löwenstein-Straße 14. In ihrem oberen Teil befindet sich ein Foto Zillis.
In der rechten Spalte ist über dem Fließtext eine Zeichnung mit folgender Bildunterschrift abgebildet:
„Zum Appell und zur Zählung“, Zeichnung von Timo Zilli
‚Line up for Roll Call‘, drawing by Timo Zilli

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