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Gedenkort Rummelsburg Gruppe D Hartmut Richter

*Glindow 1948

Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Geboren wurde ich in Glindow bei
Werder. Parallel zur Oberschule in
Potsdam machte ich eine Ausbildung
als Betriebs- und Verkehrseisenbahner.
Schon als Schüler weigerte ich mich,
die Namen von Klassenkameraden
preiszugeben, bloß weil sie Westfern-
sehen sahen. Mit 16 fing ich an, immer
öfter an Flucht zu denken und machte
konkrete Pläne. Im August 1966 gelang
mir ein Fluchtversuch, als ich durch
den Teltowkanal nach West-Berlin
schwamm.
Dann lebte ich vier Jahre in Hamburg.
Ich fuhr als Steward zur See, nur im
Westen natürlich. Ende 1972 war ich
plötzlich kein Republikflüchtling
mehr, weil ich aus der Staatsbürger-
schaft entlassen wurde. Ich konnte
nun als Westdeutscher wieder in die
DDR einreisen. Nach der Eröffnung
der Transitstrecke begann ich, Freunde
und Verwandte im Auto heraus zu
schmuggeln. Innerhalb von drei Jah-
ren verhalf ich so 33 Menschen zur
Flucht. Als ich aufflog, versuchte ich
gerade, meine jüngere Schwester und
ihren Verlobten nach West-Berlin zu
bringen.
Wegen „staatsfeindlichen Menschen-
handel“ in 18 nachgewiesenen Fällen
wurde ich 1976 zur Höchststrafe von
15 Jahren Gefängnis verurteilt. 28 Jahre
war ich damals alt. Allein 18 Monate
davon sollte ich in Rummelsburg
absitzen. Hier kam ich ins „Westkom-
mando“, wo ich nur drei Wochen für
die Elektro-Apparate-Werke arbeitete.
Hauptsächlich saß ich in Rummelsburg
in Einzelhaft und Arrest. Heimlich ver-
fasste ich Flugblätter an Mitgefangene.
Dreimal trat ich in einen Hungerstreik,
einmal 21 Tage lang. Ich wollte Kontakt
zu meinen Angehörigen. „Vielleicht
hätte es auch anders laufen können.
Aber diese Rechtlosigkeit und die all-
täglichen Drangsalierungen, das hat
mich wütend gemacht“, sagt Hartmut
Richter heute.

Im Oktober 1980 kam er durch einen Häftlingsfreikauf
vorzeitig frei. In West-Berlin protestierte Richter weiter
gegen das SED-Regime. Die Stasi beobachtete ihn und
plante seine „physische Liquidierung“. Seit Ende der
1990er engagiert sich Hartmut Richter als Zeitzeuge.

[rechte Spalte]
Hartmut Richter
geb. 1948

I was born in Glindow near Werder.
While I was attending grammar school
in Potsdam, I also did an apprentice-
ship on the railways. Even as a school
pupil, I refused to betray my classmates
just because they watched West Ger-
man TV.
At the age of sixteen, I increasingly
thought of escaping and started mak-
ing plans. In August 1966, I managed
to escape by swimming through the
Teltow Canal to West-Berlin. I then
lived in Hamburg for four years.
I sailed to sea as a steward, but only in
the West, of course. At the end of 1972,
I was no longer a ‘deserter from the
Republic’, because I had lost my citizen-
ship: I was now able to travel to East
Germany as a West German.
After the transit route was opened,
I began to smuggle out friends and
relatives. Within three years I helped
thirty-three people to flee. When I was
caught, I was trying to help my younger
sister and her financé[!] come to Berlin.
In 1976, I was sentenced to the maxi-
mum penalty of fifteen years in prison
for ‘human trafficking hostile to the
state’ in eighteen proven cases. I was
twenty-eight years old at the time.
Eighteen months I had to spend in
Rummelsburg. They put me in the
‘West Commando’, where I only had to
work for three weeks for the Elektro-
Apparate-Werke, where a wide range
of electrical appliances and equipment
were made. I generally spent my time
in solitary confinement and under ar-
rest. I secretly prepared handouts for
fellow prisoners. I went on hunger
strike three times in Rummelsburg –
one time for twenty-one days. I wanted
to have contact with my relatives.
“Maybe things could have worked out
differently. But the lack of justice and
the daily harassment made me furious,”
says Hartmut Richter now.

In October 1980 the West German government paid
for his premature release. In West Berlin, he continued
to protest against the SED regime. The Stasi observed
him and planned his ‘physical liquidation’. Since the
late 1990s, Hartmut Richter has been acting as a con-
temporary witness.

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für Matthias Bath und Timo Zilli an der Friedrich-Jacobs-Promenade in Höhe des Hauses Georg-Löwenstein-Straße 14.

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