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Gedenkort Rummelsburg Gruppe A Guido E.

Hauptstraße / Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Geboren wurde ich in eine Arbeiter-
familie in Schwarzenberg im Erzge-
birge. Ich hatte sieben Geschwister.
Bei einer Aufnahme in eine Heilanstalt
erzählte ich dem Arzt, dass ich schon
mit 13 Jahren auf Wanderschaft ge-
gangen sei. Ich schlug mich mit Betteln
und Gelegenheitsarbeiten [durch], arbeitete
beim Zirkus und als Landarbeiter.
Zwischen 1885 und 1905 wurde ich
48-mal zu Tages- und Wochenstrafen
verurteilt: Wegen Diebstahls, Betteln
und wegen Vagabondage, wie das
Leben auf der Straße und Landstrei-
cherei damals genannt wurden. Die
Strafen verhängten Gerichte in Frank-
furt/Oder, Görlitz, Chemnitz, Gera oder
Leipzig und am meisten in Berlin.
1905 kam ich zum ersten Mal in das
Arbeitshaus Rummelsburg, 1913 zum
letzten Mal, mit der Höchstdauer von
zwei Jahren. 1905 erlitt ich Verletzun-
gen, als ich einen Brand legte. Ende
1913 war ich in einem Außenkomman-
do im Berliner Stadtgut Neubeeren und
schnitt mir in die linke Hand. Wieder-
holt sagte ich Aufsehern und Ärzten,
dass ich alles dafür tun würde, um in
die Irrenanstalt zu kommen. Aber ich
kam wieder hier her, ins Lazarett.
(nach einer Patientenakte)

„Patient hat sich (…) höchstungebührlich benom-
men, geschimpft, getobt, so dass er fest geschnallt
werden musste“, heißt es in der Patientenakte über
seinen Aufenthalt in Rummelsburg. Als E. seine
Wunde aufriss und die Wände mit Kot beschmierte,
kam der damals 52-jährige in die Heil- und Pflege-
anstalt Herzberge. Sechs Jahre später verlegte man
ihn in die Heilanstalt Buch und anschließend in das
Krankenhaus Lichtenberg. Danach verliert sich seine
Spur.
Die einzigen persönlichen Äußerungen und Hinter-
lassenschaften von Guido E. sind zahlreiche Briefe,
die er an ein Berliner Amtsgericht, die Sozialbehörde,
an einen Vormund oder an Bekannte und Verwandte
schrieb. Unklar ist, ob sie ihre Empfänger je erreichten
oder nur in der Patientenakte als Teil der Kranken-
geschichte gesammelt wurden. Auch die anderen
Angaben über E. beruhen auf derselben Akte. Ein
Foto gibt es von ihm nicht.

[rechte Spalte]
Guido E.
1861 – unbekannt
I was born in a working class family
in Schwarzenberg in the Erzgebirge
Mountains. I had seven brothers and
sisters all together. When I was admit-
ted to a sanatorium, I told the doctor
that I had started hiking at the age of
thirteen. I got along by begging and
doing odd jobs. I also worked with a
circus and as a farmhand.
Between 1885 and 1905, I was sen-
tenced to one-day penalties and week-
long penalties: for theft, begging and
vagabondage – as life on the road was
known at the time. The penalties were
imposed in Frankfurt/Oder, Görlitz,
Chemnitz, Gera, Leipzig and – most of
all – in Berlin.
I first went to Rummelsburg Workhouse
in 1905. The last time was in 1913, the
longest stay being two years. In 1905,
I injured myself while I was starting a
fire. At the end of 1913, I served in an
external detachment in the Berlin state
farm in Neubeeren, where I cut my left
hand. I repeatedly told the supervisors
and doctors that I would do everything
I could to be put in a mental asylum. But
I always ended up here, in the infirmary.
(according to a case file)

“The patient behaved (…) quite unreasonably, raving
and cursing so that he had to be firmly strapped down,”
according to the patient’s file on his stay in Rummels-
burg. When the fifty-two-year-old E. tore open his
wounds and smeared the walls with excrement he
was transferred to Herzberge Sanatorium. Six years
later he was transferred to the Buch Sanatorium and
then to Lichtenberg Hospital. There is no further trace
of him after that.
The only personal statement and legacy of Guido E.
consists of the numerous letters he wrote to the Berlin
district court, the social services, a guardian, acquaint-
tances und relatives. It remains unclear whether these
ever reached their recipients or were simply collected
as part of his clinical history. All of the other statements
about E. are based on the same patient’s file. There is
no photograph of him.

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für Adolf B. und Karl Wilker unweit des Hauses Friedrich-Jacobs-Promenade 2. In ihrem oberen Teil befindet sich ein verschwommenes Foto eines Männerkopfes.

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