zurück zur Suche

Gedenkort Rummelsburg Gruppe A Adolf B.

Ratibor (Racibórz/Polen) 1869 - (Berlin-)Buch 1917

Hauptstraße / Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Ich wurde als Sohn einer jüdischen
Kaufmannsfamilie im oberschlesischen
Ratibor (heute: Racibórz) geboren.
Mein Vater war Zigarrenfabrikant.
Nach dem Schulabschluss lernte ich
das Zigarrenmachen, dann arbeitete
ich als Schreiber in der kaufmännischen
Abteilung des elterlichen Betriebes.
Vier Jahre später heiratete ich.
In meiner Patientenakte heißt es, dass
ich nach der Heirat angefangen habe
„allmählich die Arbeit zu vernachlässi-
gen“ und mich „herumzutreiben“. In
der Folgezeit wurde ich mehrfach
wegen „Arbeitsscheu“, „Betteln“ und
oft wegen „unterlassener Beschaffung
eines Unterkommens“ verurteilt.
Jedes Mal wurden die Strafen länger:
1896 erhielt ich drei Tage, 1897 zuerst
sieben Tage und dann drei Wochen
sowie 1898 und 1899 je drei Wochen
Gefängnis. Anschließend kam ich fast
immer ins Arbeitshaus Rummelsburg:
1897 erhielt ich sechs Monate Arbeits-
haus, 1898 neun Monate und 1899
sollten es zwölf Monate sein.
Wegen „Aufsässigkeit“, „Faulheit“ und
„Arbeitsverweigerung“ wurde ich auch
hier bestraft: 1897 mit drei Tagen Ein-
zelarrest, 1898 mit einmal zehn und
einmal acht Tagen, 1899 wieder mit
acht und 1900 mit 15 Tagen. Bei der
Arbeit in einem Außenkommando auf
dem Berliner Saatgut Heinersdorf
hätte ich stets das Gegenteil von dem
getan, was man mir sagte. Ein anderes
Mal hatte ich einen Aufseher einen
dummen Mann genannt. „Ich war“, so
gab B. selbst an, „durch die Äußerung
-Juda- gereizt, in Zorn geraten und
ließ mich zu der Beamtenbeleidigung
hinreißen“. (nach einer Patientenakte)

Die letzte Arbeitshaus-Unterbringung trat Adolf B.
nicht mehr an. Ein Arzt begutachtete, dass er „an
Geistesstörung“ leide. B. kam in die Heilanstalt
Herzberge, anschließend in drei weitere Anstalten
in Pankow, Lankwitz und Buch. Dort starb er im Alter
von nur 47 Jahren. Insgesamt war Adolf B. 17 Jahre
und 169 Tage im Gefängnis, Arbeitshaus und anderen
Anstalten. Von Adolf B. existiert kein Foto.
Seit 1843 konnte Betteln in Preußen zusätzlich mit
zeitlich begrenzter Unterbringung im Arbeitshaus
bestraft werden. Sie durfte nur von Strafgerichten
und im Anschluss an eine Haftstrafe angeordnet
werden. Die Dauer legte die Landespolizeibehörde
fest, in Berlin der Polizeipräsident.

[rechte Spalte]
Adolf B.
1869 – 1917
I was born into a Jewish merchant’s
family in Ratibor (now Racibórz) in
Upper Silesia. My father manufactured
cigars. After leaving school, I learned
how to make cigars. I then worked as
a scrivener in the merchant’s depart-
ment of my parent’s firm. Four years
later, I got married.
According to my case file, I ‘gradually
started to neglect my work’ after I got
married and ‘hung about’. Later, I was
often condemned for being ‘work shy’,
for ‘begging’ and often for ‘refraining
from procuring accommodation’. Each
time, the sentences got longer: in 1896,
I was given three days; in 1897 seven
days at first – followed by three weeks;
and then three weeks each in 1898 and
1899. Each time after that, I was almost
always put in Rummelsburg Workhouse:
in 1897 I was put in the workhouse for
six months, followed by nine months in
1898 and twelve in 1899.
In Rummelsburg I was punished for ‘in-
subordination’, ‘laziness’ and ‘refusing
to work’: with three days of solitary
confinement in 1897, followed by ten
and then eight days in 1898, eight in
1899 and fifteen in 1900. If I had worked
in an external detachment on a Berlin
state farm in Heinersdorf, I would have
always done the opposite of what they
told me. Another time, I called a super-
visor a stupid idiot. “I was” as B. himself
admitted, “so incensed by the word Jew
that I flew into a rage and insulted the
official”. (according to a case file)

That was the last time that Adolf B. was put in a work-
house. A doctor reported that he was suffering from a
‘mental illness’. B. was put in Herzberge Sanatorium
and then in three other institutions: in Pankow, Lank-
witz and Buch. There he died at the early age of 47.
Altogether, Adolf B. spent 17 years and 169 days in
prison, a workhouse and other institutions. There are
no photos of Adolf B.
From 1843 on, begging could be additionally punished
by putting the culprit in a workhouse for a limited
period. This penalty could only be set by criminal
courts – following a term in prison. The length of a
term in the workhouse was set by the Land Police
Authority and in Berlin, by the Chief Constable.

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für Guido E. und Karl Wilker unweit des Hauses Friedrich-Jacobs-Promenade 2. In ihrem oberen Teil befindet sich ein verschwommenes Foto eines Männerkopfes.

zurück