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silent green Kulturquartier - Ehemaliges Krematorium Wedding

silent green Kulturquartier - Ehemaliges Krematorium Wedding

Gerichtsstraße 35

[Erste Trommel v.o.]
silent green
Kulturquartier

Als das Krematorium Wedding nach seiner Schließung durch das Land Berlin zum Verkauf ausgeschrieben wurde,
erhielt das Konzept des silent green Kulturquartier den Zuschlag.

Im Jahr 2013 begannen die Umbau- und Sanierungsarbeiten am denkmalgeschützten Gebäude: In privater
Trägerschaft wandelte silent green die leerstehende Anlage durch den Ausbau von Büro- und Veranstaltungs-
flächen Schritt für Schritt in einen Disziplinen übergreifenden Ort für Kunst und Kultur um.

Ziel der Sanierung war es, dem Gebäude die Grundlage für eine neue Nutzung zu geben, ohne es seiner historischen
Dimension und seines baulichen Charakters zu berauben. In diesem Sinne erfolgten die Arbeiten von Beginn an in
enger Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt: Unter Beibehaltung der historischen Bauelemente grenzen sich neu eingebrachte Fenster und Türen deutlich vom bestehenden Altbau ab, während Verzierungen und Dekor an der Außenfassade restauriert wurden. Vorherige Änderungen an der Originalarchitektur wurden nach Möglichkeit in den Urzustand zurückgeführt; so wurden die in den 1930er Jahren zugemauerten Urnennischen in der Kuppelhalle wieder freigelegt. Auch der unter dem nachträglich gelegten Teppichboden verborgene Terrazzo konnte aufgearbeitet werden, der mit seinen symbolischen Einlassungen nun wieder die Halle schmückt.

Bereits 2014 zogen die ersten Mieter aus den Bereichen Musik, Bildende Kunst und Film ein, und noch im selben
Jahr konnte das Kulturprogramm im silent green eröffnen.

[Dritte Trommel v.o.]
1945–2002

Das Krematorium Wedding bot nach dem Ende der Kampfhandlungen im Mai 1945 ein Bild der Verwüstung, erst im
Oktober 1945 konnte es seinen regulären Betrieb wieder aufnehmen. Die massiven Kriegsschäden, die Teilung
Berlins und der Kalte Krieg wirkten sich ungünstig auf das in der Vorkriegszeit stark ausgelastete Krematorium aus.

Es lag nun im französischen Sektor und war durch die Teilung der Stadt in eine Randlage nahe der sowjetischen
Besatzungszone gerückt. Die Westberliner Bevölkerung zog das Krematorium im bürgerlichen Wilmersdorf vor.

Der Einwohnerzuwachs in West-Berlin durch die Abwanderung aus Ost-Berlin in den Jahren vor dem Mauerbau und die Überalterung der Bevölkerung leiteten eine Trendwende ein, die Ende der 1960er Jahre sogar zu einer Bestattungskrise führte: Eine Grippewelle im Winter 1969/70 brachte das Krematorium Wedding an seine Be-
lastungsgrenze, die Särge mussten zeitweilig in Gewächshäusern und Garagen untergebracht werden. Eine spür-
bare Entlastung für den Betrieb brachte die Eröffnung des Krematoriums Ruhleben (1975), und so konnte Anfang der 1980er Jahre die Verbrennungsanlage mit vier neuen Öfen und einer modernen Filteranlage vollständig erneuert werden.

Nach der Wiedervereinigung wurde ein Ausbau der Kapazitäten im Wedding nötig, als das Krematorium Treptow
wegen zu hoher Schadstoffbelastung geschlossen werden musste. Der Senat beschloss den Bau einer vollautoma-
tischen unterirdischen Leichenhalle, die 1996 eröffnet wurde und Platz für 817 Särge bot. Die neue Halle machte
das Krematorium Wedding zur modernsten Feuerbestattungsanlage Europas. Mangelhafte politische Abstim-
mung und eine Fehleinschätzung der Bevölkerungsentwicklung, die im Neubau des Krematoriums Treptow
(1996-1999) resultierte, führten schließlich zur Entscheidung des Senats, das Krematorium Wedding Ende 2002
wegen mangelnder Auslastung zu schließen.

[Vierte Trommel v.o.]
Mit dem Tode soll bestraft werden, wer den Leichnam eines Menschen nach der Sitte der Heiden durch die Flammen verzehrt werden lässt und die Knochen desselben in Asche verwandelt hat.
Karl der Große, 785

O möchte doch die Sitte der Leichenverbrennung eingeführt sein und ich Freunde finden, welche dereinst meinen durch so viele Arbeiten ausgetrockneten und entkräfteten Gebeinen diese letzte Ehre erweisen mögen!
Johann Joachim Becher, 1669

Auch wird jetzt das Verbrennen der Leichen stark propagiert, und man spricht überall davon, sodass in etwa zehn Jahren wohl alle aufgeklärten Leute sich dieser antiken Bestattung unterziehen werden.
Gottfried Keller, 1873

Die Sitte des Verbrennens ist die Frucht der vervollkommneten Gesellschaft. Alle Materien, die den menschlichen Körper formen, werden weiterentwickelt, in die Lüfte ausgebreitet, von den Winden weitergetragen, vereinigen
sich in Übereinstimmung mit den Körpern, mit den Elementen, die sie in sich aufnehmen, und nehmen an einer ewigen Metamorphose an allen Zusammensetzungen des Universums teil.
Jacques Cambry, 1799

Es war ein heiterer, der menschheit würdiger gedanke, ihre todten der hellen und reinen flamme statt der trägen erde zu überlassen. (...) das feuer geht (...) mit den todten nicht härter um als die erde, nur dass es schnell vollbringt, was diese langsam verrichtet. (...) für die angemessenste, das andenken am längsten sichernde bewahrung unsrer überreste wird die gelten müssen, welche den geringsten Raum kostet und die vergehende gestalt zu erhalten aufgibt.
Jacob Grimm, 1849

Mit dem Tode soll alle und jede Verschiedenheit der Kulte aufhören.
Johann Jakob Wegmann-Ercolani, 1874

Vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege wäre doch nichts erwünschter, als wenn unsere Sitte im ganzen sich dahin richten wollte, dass die Verbrennung Regel würde, denn dass die zunehmende Anhäufung von Verwesungsstätten, welche die großen Städte wie einen Kranz umgeben, welche das Erdreich mit unreinen Stoffen erfüllen (...) und die Gewässer verunreinigen, dass das kein Zustand ist, der sich mit der öffentlichen Gesundheit
verträgt, liegt auf der Hand.
Rudolf Virchow, 1875

Eines scheint uns sicher: Künftige Geschlechter werden darüber staunen, ein wie schwerer Kampf es gewesen, die „Neuerung“ der Leichenverbrennung einzuführen.
Adolf Kronfeld, 1890

Die Art der Totenbestattung ist ganz unabhängig von dem Glauben an die Auferstehung des Fleisches. Wie sie mit dem Fortschritt der Zeiten eingerichtet wird, ist in erster Linie vom hygienischen Standpunkt aus zu beurteilen.
Es gibt kein Recht, die Leichenverbrennung als etwas innerlich Unchristliches zu bekämpfen.
Jakob Herman Schell, 1898

Der architektonische Eindruck eines Leichenverbrennungshauses muß feierlich sein; seine Formensprache soll aber dem interkonfessionellen Charakter des Baus Rechnung tragen, an keinen ausgesprochenen, irgend einer Kon-
fession zu teil gewordenen kirchlichen Stil erinnern.
Stefan Fayans, 1907

Jeder, der einem Verbrennungsakt beiwohnen konnte, hat den Eindruck eines erhabenen Moments erlebt, wenn die reinen Flammen spielend den Körper umschweben, bis er in einem Häuflein Asche zusammengefallen ist.
(...) In einem jeden Krematorium besteht die Kontrolle darüber, daß alle ethischen und hygienischen Aspekte vollkommen berücksichtigt werden. Auch der kritischste Beobachter wird, wenn Sachlichkeit seine Beobachtungen
leitet, an keinem der geschilderten Vorgänge Anstoß nehmen können.
Max Sievers, 1925


[Fünfte Trommel v.o.]
Wie die Kremationstechnik im Allgemeinen missbrauchten die Nationalsozialisten auch das Krematorium Wedding
für ihre Zwecke.

Den Aussagen ehemaliger Mitarbeiter zufolge hatte das Krematorium zwischen 1933 und 1945 neben dem regu-
lären Betrieb auch „Sonderaufgaben“ zu erfüllen. Diese betrafen die spurlose Beseitigung politischer Gegner, die
ohne Gerichtsurteil getötet worden waren. 1933 wurden Opfer der „Köpenicker Blutwoche“, einer groß angelegten
Mordwelle der SA, im Wedding eingeäschert. Auch zahlreiche Mordopfer des so genannten „Röhm-Putsches“
(1934) wurden im Krematorium Wedding verbrannt. Zu dessen prominentesten Opfern zählten der letzte Reichs-
kanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher und seine Ehefrau. 1938 wurde die Leiche von Carl von Ossietzky
in Gegenwart der Gestapo eingeäschert. Neben Zwangsarbeitern und Hinrichtungsopfern aus Plötzensee wurden
im letzten Kriegsjahr auch die Widerständler des 20. Juli um Graf von Stauffenberg an der Gerichtstraße verbrannt.
Ihre Asche soll anschließend auf den Rieselfeldern vor Berlin verstreut worden sein.

Diesem Missbrauch der Kremationstechnik zu Zwecken der spurlosen Beseitigung von Menschen stand zur selben
Zeit die Überhöhung und Aufwertung der Einäscherung als Bestattungsart gegenüber. Unter diesem Vorzeichen
stand auch die Verlegung des Haupteingangs in die Mittelachse des Krematoriums. Durch ein neues, dreibogiges
Portal wurde die Bestattungsanlage ins unmittelbare Blickfeld der Passanten versetzt.

Zwischen 1934 und 1945 wurde das Krematorium durch Bombenangriffe schwer beschädigt. Der hohe Schornstein
diente den Fliegern der Alliierten als Orientierungspunkt bei ihren Angriffen auf die umliegenden Industrieanlagen.
Auch die Verlagerung der Hauptkampflinie in der „Schlacht um Berlin“ in die unmittelbare Umgebung des Kremato-
riums hinterließ Spuren der Verwüstung am Gebäude und auf dem benachbarten Friedhof.


[Siebte Trommel v.o.]
1909–1933

Als das Krematorium Wedding im Jahr 1912 eingeweiht und die erste Einäscherung vorgenommen wurde, konnte das Gebäude bereits auf eine bewegte Entstehungsgeschichte zurückblicken.

Die Feuerbestattung war zur Jahrhundertwende ein umstrittenes Politikum. Zeichen von Säkularisierung und Fort-
schritt für die einen, war die Einäscherung vor allem in kirchlichen Kreisen immer noch ein Tabu und galt als „heid-
nische“ Bestattungsart. Dank des Engagements u.a. der Freidenker, welche die Einäscherung als weltliche Bestat-
tungsalternative etablieren wollten, setzte sich die Feuerbestattung im gesamten Kaiserreich zunehmend durch.

In Berlin erhielt der Verein für Feuerbestattung nach langen Verhandlungen von der Stadt 1906 die Erlaubnis, auf dem Gelände des stillgelegten kommunalen Friedhofs an der Gerichtstraße eine Urnenhalle und einen Urnenhain zu errichten. 1909 wurde der Grundstein gelegt, und bereits ein Jahr später war die Halle fertiggestellt. Mit der Anlage
eines Ofenfundaments nahmen die Pläne des Architekten William Müller die erwartete Zulassung der Feuerbestat-
tung in Preußen bereits vorweg. Als diese 1911 erfolgte, konnte der Umbau zum ersten Krematorium Berlins in nur
einem Jahr vollendet werden.

In den ersten Jahrzehnten nach seiner Eröffnung erfuhr das Krematorium entscheidende Veränderungen: Hermann
Jansen, Partner des 1913 verstorbenen William Müller, ergänzte die zentrale Kuppelhalle 1914/15 um ihre südlichen
und nördlichen Außenflügel. Zeitgleich wurde aufgrund von Anwohnerbeschwerden der zuvor in der Laterne der
Kuppelhalle verborgene „Rauchauslass“ durch einen 50 Meter hohen Schornstein ersetzt. Rasant steigende Bestat-
tungszahlen führten in den 1920er Jahren zu Modernisierungs- und Erweiterungsmaßnahmen, wie der Errichtung
einer zweiten Trauerhalle und dem Einbau einer modernen Kühlanlage. Zu Beginn der 1930er Jahre gehörte das Kre-
matorium Wedding zu den modernsten und meistausgelasteten Krematorien Europas.

Die Informationssäule besteht aus sieben drehbaren Trommeln, die zweite und die sechste von oben davon mit historischen Fotografien der Anlage. Sie befindet sich links des ehemaligen Krematoriumsgebäudes.

 

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