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Reichskolonialamt / "Dibobe-Petition"

Wilhelmstraße 51

Wilhelmstraße 62
Das 1738 bebaute Grundstück in der Wilhelmstraße 62 wurde
nach mehrmaligem Umbau und zahlreichen Besitzerwechseln
1905 vom Staat erworben und zur Nutzung für die Kolonial-
Abteilung des Auswärtigen Amtes bereitgestellt. 1907 wandelte
man diese zum eigenständigen Reichskolonialamt um. Die
“Schaltzentrale” des deutschen Kolonialreichs umfasste neben
drei zivilen Abteilungen auch das für die koloniale Kriegsfüh-
rung zuständige “Kommando der Schutztruppe”, das sich im
rückseitigen Gebäude in der Mauerstraße 45 befand. 1919 bis
1920 hatte hier das Reichskolonialministerium seinen Sitz.
Vor dem Hintergrund der Versailler Friedensverhandlungen übergab hier der aus
Douala (Kamerun) stammende Berliner Martin Quane a Dibobe am 19. Juni 1919
eine Petition an die in Weimar tagende Nationalversammlung. Sie war von
weiteren 17 in Deutschland lebenden Männern aus West- und Ostafrika unter-
zeichnet worden. Die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung veröffent-
lichte deren “Protest gegen die Vergewaltigung” der von Deutschland bean-
spruchten Kolonien durch die alliierten Siegermächte und verwies auf ihr
Bekenntnis zu der in Weimar errichteten “sozialen Republik”.
Verheimlicht wurde, dass sich die Gruppe nur “unter Vorbehalt” zu Deutsch-
land bekannte. So hatten die Männer am 27. Juni 1919 ein längeres Schrei-
ben nachgereicht. Es formulierte 32 massive Beschwerden und
konkrete Bedingungen, um fortan mit dem “neuen deutschen
Reich in gutem Einvernehmen zu leben”. Die Kernforderungen
der Unterzeichner waren “Gleichberechtigung und Selbststän-
digkeit”. Der beteiligte Mdachi bin Sharifu aus Tanga (heute
Tansania) vertrat diese Positionen im Herbst 1919 auch als
politischer Redner in der deutschen Öffentlichkeit.
Die von der Reichsregierung unterdrückte “Dibobe-Petition” ist
eines der bedeutendsten Dokumente des kollektiven Wider-
stands der afrikanischen Diaspora in Deutschland gegen den
systematischen Bruch der Völker- und Menschenrechte im
kaiserlichen Kolonialreich.

The building at Wilhelmstraße 62, erected in 1738, was acquired
by the German government in 1905. It was assigned to the
Colonial Department of the Foreign Office, which became the
independent Imperial Colonial Office in 1907. This German
colonial empire “nerve center” included three civilian adminis-
trative divisions, and the Command of the Imperial Colonial
Army at nearby Mauerstraße 45. From 1919 to 1920 the Colonial
Ministry was located here.
Against the background of the Versailles Peace Negotitations,
Berlin resident Martin Quane a Dibobe, originally from Douala,
Cameroon, delivered a petition addressed to the Weimar National
Assembly and signed by 17 men from West and East Africa who
lived in Germany to the Colonial Office on June 19, 1919. The
Social Democratic Party led government published the petiti-
oners’ “protest against rape” by the Allied Powers of the
colonized territories claimed by Germany, and their commitment
to the “social republic” established in Weimar.
Deleted however, was that the commitment was only “under
conditiion.” in a document submitted on June 27, 1919, the group
enumerated 32 complaints and specific conditions necessary
to live amicably with the “new German nation-state.” The core
demands were “equal rights and independence.” One person
involved, Mdachi bin Sharifu, originally from Tanga (now
Tanzania), gave public lectures in suppoert of the demands in
autumn 1919.
The ‘Dibobe-Petition’, which the Weimar government suppressed,
is one of the most important documents expressing the African
Diaspora’s collective resistance in Germany against the Imperial
Colonial empire’s systematic breaches of international an
human rights.

Links in den Text eingeblockt sind drei Fotos und ein Dokument. Die Unterschriften lauten (v.o.n.u.):
Reichskolonialamt in der Wilhelmstraße 62
Imperial Colonial Office in Wilhelmstraße 62


Martin Quane a Dibobe, 1902-1921 Zugführer
der Hoch- und Untergrundbahn zu Berlin
Martin Quane a Dibobe, 1902-1921 train driver
for the Berlin Subway


Die Unterzeichner der “Gleichberechtigung und
Selbstständigkeit” fordernden ‘Dibobe-Petition’,
19. Juni 1919 | Signatories of the ‘Dibobe-Petition’
demanding “equal rights and independence” in June
19, 1919


Mdachi bin Sharifu, 1913-1920 Kiswaheli-Lektor
am Seminar für Orientalische Sprachen der
Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin
Mdachi bin Sharifu, 1913-1920 Kiswaheli-
language lecturer at the Seminar for Oriental
Languages, Friedrich Wilhelms University at Berlin

Auf dem Unterschriftenbogen steht handschriftlich der Name Ndachi bin Scharifu.

Das alte Gebäude gibt es nicht mehr. An der Stelle steht mit neuer Hausnummer ein Haus aus DDR-Zeiten.

Die am 22.7.2019 enthüllte Stele wurde gefertigt im Auftrag der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Recherche, Redaktion und Übersetzung wurden durchgeführt von Berlin Postkolonial e.V. Design und Realisation lagen in den Händen von Helga Lieser.

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