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Lager Kaulsdorfer Straße 90 - Stele 3

Lager Kaulsdorfer Straße 90 - Stele 3

Bismarcksfelder Straße (am Wuhlewanderweg)

(Tafel 5)
Zwangsarbeiterlager
Am 30. April 1942 übernahm die Reichsbahndirektion Berlin das Lager
in eigene Regie und brachte dort aus der UdSSR verschleppte “Ost-
arbeiter” unter, darunter viele Frauen und Kinder. Ob zeitweilig auch
Zwangsarbeiter aus anderen Ländern im Lager untergebracht waren,
ist bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Zur Jahreswende 1942/43
hatte das Lager 1.542 Insassen. Die “Ostarbeiter” vegetierten unter
schlechten Wohn- und hygienischen Bedingungen, mussten hart
arbeiten und litten oft Hunger. Ständig von Strafen bedroht, aus-
gebeutet und entrechtet, fristeten sie ein kümmerliches Leben.
Die Männer arbeiteten vor allem im Reichsbahnausbesserungswerk
Warschauer Straße, die Frauen hatten auch Waggons zu reinigen
und wurden als Küchenhilfskräfte eingesetzt. Löhne, wenn überhaupt
gezahlt, betrugen nur einen Bruchteil der Löhne deutscher Arbeiter.
Das Lager durfte nur zur Arbeit verlassen werden, Ausgänge wurden
als “Belohnung” gestattet. Auf der Oberkleidung war ein aufgenähtes
blaues Rechteck mit der weißen Aufschrift “OST” zu tragen.

(Unter dem Taxt sind vier Abbildungen und ein Briefauszug [Abschrift])

1 Michail Iwanowitsch Tatartschenko 1943 in Kaulsdorf

2 Luftbild vom 9.3.1943. Die Splitterschutzgräben waren der
einzige Schutz bei Luftangriffen. Viele “Ostarbeiter” fanden dabei
den Tod, da es ihnen verboten war, einen Bunker aufzusuchen.

3 (Schreiben der Reichsbahndirektion Berlin vom 7.9.42 über die Übernahme des Lagers und dessen Belegung mit “Ostarbeitern”; keine Bildunterschrift)

4 Skizze des Arbeitsweges vom Lager zum Reichsbahnausbesse
rungswerk Warschauer Straße, aus dem Gedächtnis gezeichnet von
einem ukrainischen Zwangsarbeiter.

[maschinenschriftlich]
Erinnerungen von Michail Iwanowitsch Tatartschenko (*1926)
Ich war beim Einmarsch der Deutschen 14 Jahre alt und voll-
kommen ohne Angst. Ich hatte keinerlei Vorstellungen über die
Deutschen. Ich tat ihnen nichts und sie mir nichts, nur die Juden
wurden abtransportiert. Über unsere Deportation wusste niemand
vorher Bescheid und sah das auch nicht voraus.
Ab März 1942 begann der Abtransport von Jugendlichen nach
Deutschland. Den Abtransport führten deutsche Soldaten und
einheimische Polizisten gemeinsam durch ...
In den ersten zwei Monaten, nachdem wir ins Lager gebracht
wurden, nahmen sich zwei junge Mädchen das Leben ...
Aus einem Brief an das Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf von 2002


(Tafel 6)
(Auf der Tafel sind sechs Abbildungen bzw. Textauszüge)

1 Jewdokija Karpowna Gnatik mit einer Freundin 1943 in Berlin

2 Iwan Stepanowitsch Federowski mit Registriernummer
als “Ostarbeiter” 1942

3 Am 16.9.1943 wurden Nikolaj Borodulin und 15 weitere “Ost-
arbeiter” aus dem Lager angeklagt, im Juni 1943 Mehl gestohlen zu
haben. Die Reichsbahndirektion forderte die Todesstrafe. Das Gericht
verurteilte die jungen Männer “nur” zu Freiheitsstrafen zwischen
einem und eineinhalb Jahren und begründete seine Entscheidung
u.a. damit: “Sie mögen auch zu der Tat veranlaßt worden sein, weil
sie Hunger hatten.”
[Abgebildet ist das Deckblatt der staatsanwaltschaftlichen Handakten]

4 Aus dem Bericht einer Kontrollkommission vom 16.8.1943

[maschinenschriftlich]
Erinnerungen von Jewdokija Karpowna Gnatik (*1922)
Wir wohnten in einer einstöckigen hölzernen Lagerbaracke, die
in zwei Räume aufgeteilt war. In einer Baracke waren insgesamt
hundert Mädchen und Frauen. Der Name war Kaulsdorf. In der
Mitte des Raumes stand ein Kanonenofen. Die Betten waren
doppelstöckig und aus Holz. Für je zwei Personen gab es einen
Nachttisch und für fünfzig Personen einen großen Tisch mit
Hockern. Die Verpflegung war kärglich: Ein Laib Brot für eine
Woche, ein Päckchen Margarine für eine Woche und jeden Tag
einmal am Abend eine heiße Suppe aus Kohlrüben, Kohl und an-
derem Gemüse. Alle spürten ein dauerndes Gefühl von Hunger.
Aus einem Brief an das Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf von 2002

[maschinenschriftlich]
Erinnerungen von Iwan Stepanowitsch Federowski (*1923)
Alle Arbeiter waren unterernährt, in zerrissener und verschmutzter
Kleidung. Es waren 1500 Menschen im Lager: Jungen und Mäd-
chen. Einige Mädchen arbeiteten in einer anderen Fabrik, aber
die meisten doch in diesem Reparaturwerk für Güterwaggons.
Fast alle waren vor Hunger aufgedunsen, viele starben (alte
Menschen), viele rannten weg. Es kamen immer wieder neue
Arbeitskräfte aus der Ukraine. Sie kamen von überall, die Meister
waren aber nur Deutsche. Zu dieser Zeit wäre ich fast vor
Schwäche gestorben.
Aus dem Brief an seine Angehörigen vom Mai/Juni 1945

[maschinenschriftlich]
Beweismaterial
zum Bericht über die Lage der Ostarbeiter.
Ostarbeiterlager der Reichsbahn
Berlin-Kaulsdorf
Ernährung: 300 g Brot und 3 x Kohlrübenwassersuppe täglich.
50 g Margarine und ca. 25 g Fleisch wöchentlich.
… Nach meinem Besuch in diesem Lager wurde das Essen vorübergehend ver-
bessert. Nach einer gewissen Zeit trat jedoch der alte Zustand wieder ein.
Daraus ist zu ersehen, dass die Lebensmittel vorhanden sind, jedoch
nicht zur Verteilung unter den Arbeitern gelangen.
Vor meinem Besuch sind auch andere Kontrollkommissionen in diesem Lager
erschienen, jedoch nach einer vorherigen Anmeldung, was sofort eine all-
gemeine Verbesserung der Lage für diesen Tag zur Folge hatte. …

Die Gedenkinstallation besteht aus vier hintereinander neben dem Fuß-/Radweg am westlichen Ufer der Wuhle aufgestellten gut zwei Meter hohen Stelen, die auf beiden Seiten jeweils beschriftet und bebildert sind. Auf jeder der insgesamt acht Seiten steht oben links im blauen Seitenstreifen der Bezug zum Ort ("Lager Kaulsdorfer Straße 90") und die Chronik. Auf allen Seiten befindet sich unten rechts das Impressum:

Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin
Abt. Jugend und Familie, Weiterbildung und Kultur
Amt für Weiterbildung und Kultur, Fachbereich Kultur, Bezirksmuseum
Konzept | Text | Redaktion:
Christa Hübner, Dorothee Ifland, Lutz Prieß, Daniela Schnitter
Design & Realisation: Helga Lieser
(Logos)
Gefördert aus Zuwendungen des Bezirkskulturfonds des Landes Berlin,
Fachbereich Kultur Marzahn-Hellersdorf
© Berlin 2013

Eingeweiht wurden die Stelen im Rahmen des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt" am 30.4.2013, denn am 30. April des Jahres 1942 wurde das Barackenlager von der Reichsbahndirektion Berlin übernommen und mit Zwangsarbeitern ("Ostarbeitern") belegt.

Die vier Stelen der Gedenkinstallation sind wegen der Menge an Information (Texte und Abbildungen) jeweils einzeln in der Abfolge ihrer Aufstellung aufgeführt.

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