zurück zur Suche
Kammergericht

Kammergericht

Elßholzstraße 30-33

(I)
Kammergericht
Das Kammergericht ist das älteste bestehende deutsche Gericht. 1468 als oberstes
Hofgericht erstmals erwähnt, tagte es ursprünglich „in des (Landes-)Herrn Kammer“;
daher der Name. Nach der Fortentwicklung zur höchsten zivil- und strafrechtlichen
Instanz in Brandenburg erhielt das Kammergericht 1735 zunächst sieben Räume
einschließlich eines Sitzungssaals im „Collegienhaus“ in der Lindenstraße 14
(seit 1969 Berlin-Museum), das alle Justizbehörden und oberen Gerichte aufnahm.
1779 bewiesen die Richter ihre Unabhängigkeit in einem Verfahren, das das Ansehen
des Kammergerichts weithin begründete. Es ging um den Prozeß des Müllers Arnold. Er verlangte von einem adligen Nachbarn Schadensersatz, weil ihm angeblich
durch dessen Karpfenteiche das Wasser für seine Wassermühle entzogen worden
war. Drei Richter des Kammergerichts wiesen die Klage ab, obwohl sie wußten, daß
sie damit gegen den ausdrücklichen Willen des Königs, Friedrichs des Großen,
entschieden. Der König beorderte die Richter daraufhin in das Schloß und beschimpfte
sie. Er ließ sie sogar wegen Rechtsbeugung anklagen. Doch der Strafsenat des
Kammergerichts sprach die drei Richter frei. Friedrich der Große persönlich belegte
sie daraufhin mit einem Jahr Festungshaft (in der Zitadelle Spandau) und verpflichtete
sie, dem Müller Arnold Schadensersatz zu leisten. Erst sieben Jahre später
rehabilitierte König Friedrich Wilhelm II. die Richter.
Ein weiteres Beispiel für die Standhaftigkeit des Kammergerichts war der bekannteste
der sogenannten Demagogenprozesse gegen „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn.
Das Verfahren stand im Zusammenhang mit der Verfolgung von Burschenschaftlern
nach der Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue durch einen
Studenten im Jahre 1819. Als Mitglied des Untersuchungsgerichts setzte sich der
wohl berühmteste Kammergerichtsrat, der Dichter und Komponist E.T.A. Hoffmann
(1776 - 1822), energisch für die Freilassung von Jahn ein. Da sich die Richter des
Kammergerichts auch im übrigen als unbeugsam erwiesen, entzog ihnen König
Friedrich Wilhelm III. Die Zuständigkeit für die „Demagogenprozesse“ und wies sie
dem Oberlandesgericht Breslau zu.
Sicher gab es in der Folge beim Kammergericht wie bei allen deutschen Gerichten
Licht und Schatten. Dennoch trugen die beiden Ereignisse in besonderer Weise
zur Entwicklung eines Bewußtseins für die Unabhängigkeit der Richter bei. Der Prozeß
des Müllers Arnold wurde sogar Gegenstand der Legende.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert reichten die Räume des 1879 gänzlich übernommenen und zwischenzeitlich erweiterten „Collegienhauses“ nicht mehr aus.
Deshalb begann man 1909 auf dem Gelände des damaligen Botanischen Gartens
mit einem Neubau für das Oberlandesgericht der Provinz Brandenburg und das Oberste preußische Landesgericht, eben das Kammergericht. Das Äußere des 1913
fertiggestellten, fünfgeschossigen Gebäudes ist im Neobarock gestaltet.
Sein Hauptportal, zum Kleistpark ausgerichtet, wird ergänzt durch die von Gontard
geschaffenen, 1910 vom Alexanderplatz in den Park umgesetzten barocken Königs-
Kolonnaden.
Insgesamt 540 Räume standen für die Arbeit der 36 Senate des Kammergerichts, der
Oberstaatsanwaltschaft, des Rechnungsamtes, der Justizhauptkasse und des Prüfungsamtes zur Verfügung. Nur die Eingangshallen, die große Mittelhalle mit den
Treppenaufgängen, die Verhandlungssäle und die Repräsentationsräume erhielten
figürlichen und ornamentalen Schmuck. Die im Südflügel gelegene großzügige Dienstwohnung des Präsidenten umfaßte 16 Haupträume (heute Verwaltungsbereich).
Besonders eindrucksvolle künstlerische Gestaltung erfuhr der 235 m² große und 8 m hohe Plenarsitzungssaal mit Kamin, Stuck sowie Decken- und Wandmalerei.

(II)
Verhandlungen des
Volksgerichtshofs 1944/1945
Von August 1944 bis Januar 1945 tagte der Volksgerichtshof auch im Plenarsaal
des Kammergerichts. Hier fanden die Schauprozesse gegen die Männer und Frauen
des 20. Juli 1944 statt. Die Wahl fiel auf den Plenarsaal, weil in den Sälen am
Sitz des Volksgerichtshofs, dem ehemaligen König-Wilhelm-Gymnasium in der
Bellevuestraße 15, nicht genug Zuschauer Platz fanden.
Den Volksgerichtshof schuf Hitler 1934, nachdem die Freisprüche des Reichsgerichts
im Reichstagsbrandprozeß zugunsten der Mitangeklagten van der Lubbes Mißfallen erregt hatte. Anfangs nur in Landes- und Hochverratsprozessen tätig,
wurde der Volksgerichtshof später auch für andere Delikte, ab 1943 insbesondere für
die sogenannte Wehrkraftzersetzung zuständig. Nach Kriegsbeginn richteten sich
die Prozesse in erster Linie gegen Widerstandskämpfer aus den besetzten Gebieten
(Tschechen, Polen, Franzosen, Belgier, Niederländer, Norweger). Die Zahl der Todesurteile stieg mit der Dauer des Krieges stark an und betrug schließlich über
5.000; fast jeder zweite Angeklagte wurde ab 1942 zum Tode verurteilt.
Im August 1942 stellte Hitler den Staatssekretär im Reichsjustizministerium Roland
Freisler an die Spitze des Volksgerichtshofs. Freisler, zuvor niemals Richter,
übernahm als Präsident den Vorsitz im Ersten Senat, der die meisten Todesurteile
fällte. Vor dem Ersten Senat wurden auch die Beteiligten des 20. Juli 1944 angeklagt.
Soweit es sich um Offiziere handelte, waren sie zuvor aus der Wehrmacht ausge-
schlossen worden, um die Zuständigkeit des Reichskriegsgerichts aufzuheben und die
des Volksgerichtshofs zu begründen. Die Filmaufnahmen von den Verhandlungen
dokumentieren ein in der deutschen Justizgeschichte beispielloses Vorgehen. Freisler demütigte und verhöhnte die Angeklagten. Gegen die Widerstandskämpfer
des 20. Juli 1944 ergingen hier und am Sitz des Volksgerichtshofs in der Bellevue-
straße über hundert Todesurteile. Gleichwohl wurde keiner der beteiligten Richter und
Staatsanwälte von einem bundesdeutschen Gericht rechtskräftig verurteilt.

(III)
Nach 1945
Im Mai 1945 setzte der sowjetische Stadtkommandant ein „Bezirksgericht
Schöneberg“ ein, das vorübergehend im Kammergerichtsgebäude tagte. Bald darauf
wurde das Gebäude Sitz des Alliierten Kontrollrats für Deutschland. Er bestand
aus den militärischen Oberbefehlshabern der vier Besatzungszonen in Deutschland.
Er übte die oberste Regierungsgewalt aus und erließ unter anderem die sogenannten
Kontrollratsgesetze. Aufgrund wachsender Spannungen zwischen den westlichen
Verbündeten einerseits und der UdSSR andererseits verließ der sowjetische
Vertreter am 20. März 1948 den Alliierten Kontrollrat. Dessen Tätigkeit kam dadurch zum Erliegen. Nur noch etwa 20 Räume des Gebäudes nutzte fortan die Alliierte
Luftsicherheitszentrale für Berlin, in der bis zum 2. Oktober 1990 auch die Sowjetunion
mitwirkte.
Am 18. Oktober 1945 konstituierte sich der Internationale Militärgerichtshof im
Plenarsaal des (nunmehr so genannten) Kontrollratsgebäudes in einer zeremoniellen
Eröffnungssitzung. Die vier Hauptankläger der Besatzungsmächte übergaben dem Gerichtshof die Anklageschriften gegen 24 Hauptkriegsverbrecher sowie gegen
die NSDAP mit ihren Gliederungen und Organisationen. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher fand dann aber 1946 und 1947 im Nürnberger Justizpalast
statt, was zu der international bekannten Bezeichnung „ Nürnberger Prozesse“ führte.
Vom 25. Januar bis 18. Februar 1954 konferierten die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR abwechselnd im Plenarsaal
des Kontrollratsgebäudes und in der sowjetischen Botschaft Unter den Linden über
die Zukunft Deutschlands. Die Diskussion der Deutschlandfrage endete ebenso
ergebnislos wie das Bemühen um einen Staatsvertrag für Österreich.
Am 3. September 1971 unterzeichneten die Botschafter der Vier Mächte nach längeren Verhandlungen im Plenarsaal des Kontrollratsgebäudes die erste Stufe des
Berlin-Abkommens und paraphierten ein Schlußprotokoll. Es regelte den freien Reiseverkehr zwischen dem Bundesgebiet und dem Westteil der Stadt, die Aufrecht-
erhaltung und Entwicklung der Bindungen zur Bundesrepublik, die Verbesserung
der Besuchsmöglichkeiten für West-Berliner im Ostteil der Stadt und in der DDR sowie die Vertretung der West-Berliner durch die Bundesregierung im Ausland.
Nach zusätzlichen deutsch-deutschen Vereinbarungen setzten die Außenminister
der Vier Mächte das Abkommen am 3. Juni 1972 ebenfalls im Plenarsaal in Kraft.
Das Kammergericht selbst war nach dem Krieg zunächst in verschiedenen Gebäuden untergebracht. Erst 1951 fand es in den Räumen des ehemaligen Reichs-
militär- und - späteren - Reichskriegsgerichts in der Witzlebenstraße ein dauerhaftes
Unterkommen.
Das Gericht blieb auch von der innenpolitischen Entwicklung nicht unberührt.
So erschossen Terroristen 1974 den Präsidenten Günter von Drenkmann in seiner
Wohnung. Mit dem Präsidenten sollte zugleich der demokratische und soziale Rechtsstaat getroffen werden.
Nach der Vereinigung am 3. Oktober 1990 und dem Ende der alliierten Befugnisse
konnte das Kammergericht im Februar 1991 sein Gebäude am Kleistpark wieder
übernehmen. Dieses wurde zugleich Sitz des Berliner Verfassungsgerichtshofs und
der Generalstaatsanwaltschaft bei dem Kammergericht. Im Plenarsaal finden keine Strafprozesse mehr statt.

Diese drei Tafeln aus Edelstahl bilden eine Einheit mit den beiden im Plenarsaal angebrachten. Sie wurden am 29.12.1998 durch Justizsenator Ehrhart Körting und Staatssekretär Detlef Borrmann in Anwesenheit der Präsidentin des Kammergerichts Gisela Knobloch enthüllt. Die Festansprache hielt der Rechtshistoriker Prof. Dr. Uwe Wesel.

Die Gesamtkosten der Gedenk- und Informationstafeln betrugen 160.000,- DM. Ihre Gestaltung oblag Prof. Hans Peter Hoch unter Mitwirkung des Architekten Ralf Schüler.

zurück