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Gedenkort Rummelsburg Gruppe F Jörg Zickler

*Gotha 17.8.1965

Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Aufgewachsen bin ich in Jena, wo ich
in der Jungen Gemeinde Stadtmitte
aktiv wurde. Das war Anfang der 1980er,
als viele Aktivisten in den Westen ab-
geschoben wurden. Wir, die Zurück-
bleibenden, waren um die 18 Jahre alt
und wollten, dass es weiter geht. Unser
Weg war die Subkultur: Gemeinsam
leben im besetzten Haus und spontan
politisch handeln. Aktiv wurde ich auch
in der „Kirche von unten“, KvU, eine der
Keimzellen der DDR-Opposition. In
Berlin begann ich eine Ausbildung zum
Sozialdiakon. Anfang Oktober 1989
beteiligte ich mich an der Mahnwache
in der Gethsemanekirche, die wir aus
Solidarität mit den in Leipzig verhafte-
ten Demonstranten machten. Als ich
am 7. Oktober zum Alexanderplatz kam,
waren dort nicht nur Diejenigen[!], die
gegen die Fälschung der Kommunal-
wahl protestierten, sondern auch viele
andere Menschen. Wir liefen zum Palast
der Republik, wo die offizielle Feier war,
und wieder zurück. Dann griff die Polizei
zu. Nur einzelne Personen wurden fest-
genommen, darunter auch ich. Ich kam
für eine Woche in Untersuchungshaft
nach Rummelsburg. In der Zelle waren
wir zu sechst, darunter vier „Geburts-
tagskinder“. So hießen wir im Knast, weil
wir am 7. Oktober, dem Gründungstag
der DDR, eingeliefert worden waren.
Was alles draußen passierte, bekamen
wir nicht mit. Wir spielten Schach mit
Figuren aus Brotkrumen. Andere Ver-
haftete hatten weniger Glück, weil sie
von Rechtsradikalen verprügelt wurden.
Am 4. November 1989, bei der großen
Demonstration am Alexanderplatz,
war die Friedliche Revolution für mich
zu Ende, weil dort der ehemalige Stasi-
General Markus Wolf und der Berliner
SED-Chef Günter Schabowski auftraten.
Aus der Bevölkerung wurden wir be-
schimpft, weil wir Freiräume und persön-
liche Freiheit statt Reisefreiheit wollten.
Seit Anfang der 1990er arbeite ich als
Sozialarbeiter in der KvU mit Jugend-
lichen. „Sie sind heute viel vereinzelter,
als wir es waren. Jugendarbeit soll sie
darin unterstützen, das[!] sie für ihre
eigenen Belange einstehen“, so Jörg
Zickler.

[rechte Spalte]
Jörg Zickler
geb. 1965

I grew up in Jena, where I became
active in a district-based religious group
called the Junge Gemeinde Jena-Stadt-
mitte. That was in the early 1980s, when
lots of former activists were being
expelled to the West. Those of us who
stayed were about 18 years old and
wanted to remain active. We were into
subculture: living together in an occu-
pied house and getting involved in
spontaneous political activities. I was
also active in the KvU, one of the nuclei
of the opposition in East Germany.
I began studying in Berlin to become
a deacon. At the beginning of October
1989, I took part in a vigil at the Geth-
semane Church, which we organised
to show our solidarity with demonstra-
tors arrested in Leipzig. When I arrived
at Alexanderplatz on 7 October, not only
those who protested against the forgery
at the local elections had gathered there,
but many other people, too. We walked
to the Palace of the Republic, where the
official celebration on the anniversary
of the state’s founding was being held,
and then back again. Then the police
attacked. They only arrested individual
people.
I was among them. They drove me
to Rummelsburg Prison, where I was
remanded in custody for a week. There
were six of us in the cell – including
four ‘birthday children’. That’s what
they called us in prison, because we
were imprisoned the day the East
German state was founded. We had
no idea what was happening outside.
We played chess with chessmen made
of breadcrumbs. Some of those who
were detained in other cells were less
fortunate: they were beaten up by
right-wing radicals.
On 4 November 1989, when a big
demonstration was held at Alexander-
platz, the Peaceful Revolution was
finished as far as I was concerned, be-
cause a former leading Stasi General
and the Berlin Communist Party boss
spoke there. And people cursed us
because we wanted open spaces and
personal freedom instead of freedom
to travel. Since the early 1990s, I have
been working with young people as a
social worker at the KvU. “These days[!],
they are much more isolated than we
used to be. Youth welfare work is sup-
posed to help them stand up for their
rights”, says Jörg Zickler.

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für Evelyn Zupke und Manfred Butzmann an der Friedrich-Jacobs-Promenade südlich der Erich-Müller-Straße. In ihrem oberen Teil befindet sich ein Foto Zicklers.
Über der linken Spalte befindet sich ein kleineres Foto mit einem von zwei Personen vor dem Palast der Republik gehaltenen Transparent mit der zweispaltigen Inschrift „Egon - Deine Wahl nicht zählt, denn Dich hat nicht das Volk gewählt!“, Bildunterschrift:
Protest gegen die Fälschung der Kommunalwahl, 1989
Protest against the manipulation of the local election, 1989

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