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Gedenkort Rummelsburg Gruppe F Evelyn Zupke

*Binz/Rügen 28.2.1962

Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Ausgerechnet in den letzten Jahren
vor dem Abitur wollte ich die gefor-
derten Unterwerfungsrituale, dieses
erzwungene Bekenntnis zu jedem Be-
schluss der Partei- und Staatsführung,
nicht mehr mitmachen. Ich wollte
meine kritischen Fragen nicht länger
unterdrücken. Mein Widerstandsgeist
wurde immer stärker. Deshalb wurde
mir jegliches Studium verwehrt und
ich musste als Kellnerin arbeiten.
Aber selbst in diesem Job gab es
Ärger, vor allem als ich mich bei der
„Wahl“ 1984 weigerte, meine Stimme
abzugeben. Bei dieser Propaganda-
show, mit der die SED eine Legitima-
tion ihrer Herrschaft vortäuschen
wollte, konnte ich nicht mitmachen.
Aber wenn ich mich nicht anpasste,
würde ich keine berufliche Chance
mehr bekommen. Außer bei der
Kirche. Ich begann eine Ausbildung
in der Diakonie und zog nach Berlin.
Hier fand ich endlich mutige Gleich-
gesinnte wie den Weißenseer Friedens-
kreis. Bei der Kommunalwahl am 7.
Mai 1989 gelang uns der definitive
Beweis des Wahlbetrugs, als wir un-
abhängig die Ergebnisse aus Wahl-
lokalen sammelten und auswerteten.
Diese erlogene Legitimation des
Regimes war ein unbezweifelbarer
Anlass für Strafanzeigen und öffent-
lichen Protest. Am 7. Tag jedes[!] Monats
wollten wir auf dem Berliner Alexander-
platz gegen den Wahlbetrug protestie-
ren. Im September versuchten wir mit
bemalten T-Shirts den Schriftzug:
„7. Mai Wahlbetrug“ zu formen.
In Sekundenschnelle schlug die Stasi
brutal zu. Wir wurden nach Rummels-
burg transportiert, stundenlang in
Sammelzellen gepfercht und immer
wieder einzeln zum Verhör geholt.
Aber das waren ja nur Vorboten der
Gewaltorgie am 7. und 8. Oktober, als
auf den Straßen auf zahlreiche andere
Demonstranten eingeprügelt wurde.
Viele kamen in die gleichen Sammel-
zellen wie wir.

Es ist gut, dass es die SED-Diktatur
nicht mehr gibt. Leider wurden die
Verantwortlichen von einst nur selten
belangt für das, was sie taten. Dass
ihre politischen Erben wieder regieren
wollen, mag zwar legitim sein, für
mich ist es jedoch kaum erträglich.

[rechte Spalte]
Evelyn Zupke
geb. 1962

During the final years before I did my
scholarship[!], of all things, I no longer
wanted to participate in the subjugation
rituals imposed on us: the obligatory
affirmation of every decision by the
party and state leadership. I no longer
wanted to suppress my critical ques-
tions. My determination to resist grew
stronger and stronger. As a result, I was
not allowed to participate in any degree
courses and had to work as a waitress.
But even then, I still ran into trouble –
mainly for refusing to vote during the
so-called ‘election’ in 1984. I could no
longer participate in the propaganda
show staged by the Socialist Unity Party
to legitimate its rule. But if I refused to
fit in, I would no longer have any chance
of getting a job. Except in the church.
So I began to study social work at the
Diakonie und moved to Berlin. There, I
finally found some brave like-minded
people such as the Weißensee Peace
Group. At the local elections on 7 May
1989, we managed – by independently
collecting and evaluating the results
from the polling station – to prove
beyond doubt that the election had
been manipulated. The fabricated legi-
timation offered by the regime pro-
vided an indisputable occasion to press
charges und stage public protest. On
the seventh of each month we decided
to protest at Alexanderplatz, in Berlin,
against the sham election. In September,
we tried to form the words ‘7th May –
Electoral Swindle’ using painted T-Shirts.
Within seconds, the Stasi brutally struck
home. We were taken to Rummelsburg,
jammed into bullpens for hours, photo-
graphed and repeatedly taken out
again – singly – for individual interro-
gation. But this was just the harbinger
for the orgy of violence on 7th and
8th October, when numerous other
demonstrators were beaten up on the
streets. Many of them ended up in the
same bullpens as us in Rummelsburg.
It is a good thing that the Socialist Unity
Party dictatorship no longer exists. Un-
fortunately, however, those responsible
were rarely prosecuted for their actions.
The fact that their political successors
want to rule again may be legitimate,
but for me it is almost unbearable.

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für Manfred Butzmann und Jörg Zickler an der Friedrich-Jacobs-Promenade südlich der Erich-Müller-Straße. In ihrem oberen Teil befindet sich ein Foto Zupkes.
Über der linken Spalte befindet sich die Reproduktion eines Zettels mit der maschinegeschriebenen Inschrift:
7. Oktober
40 Jahre DDR
5 Monate Wahlbetrug
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Wir wollen gemeinsam lachen,
auch wenns schwerfällt.
17.00 Uhr Alexanderplatz
Die Bildunterschrift lautet:
Aufruf zum Protest gegen die Wahlfälschung, 1989
Call for protest against the electoral swindle, 1989

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