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Gedenkort Rummelsburg Gruppe B Rudolf Kirsten

Berlin 16.11.1915 – Berlin 1948

Friedrich-Jacobs-Promenade

[linke Spalte]
Ich wuchs am Kottbusser Tor in Kreuz-
berg auf, wo ich bei meiner Mutter
lebte. Ich übernahm Gelegenheits-
arbeiten. Eine Ausbildung machte ich
nie. Im Alter von 20 Jahren wurde ich
erstmals zur „Bewahrung“ in das
Arbeitshaus Rummelsburg eingewie-
sen. 1940 kam ich in die evangelischen
Hoffnungsthaler Anstalten Lobethal
bei Bernau, dann wieder nach Rum-
melsburg. Ich wollte zurück nach
Lobethal, weil ich die Bedingungen
in Rummelsburg viel schlimmer fand.
Ich schrieb an Pfarrer Braune, den Leiter
von Lobethal, doch der lehnte mein
Gesuch ab. Ich sei so oft weg[ge]laufen.
Dabei ging ich immer zu meiner Mutter
nach Berlin. Erst als nach dem Krieg
meine Mutter starb, wurde ich wieder
in Lobethal aufgenommen.
(nach einer Patientenakte)

Sein Name wurde nur bekannt, weil er sich auf einem
„Meldebogen für Gemeinschaftsfremde“ befindet.
Dieser Meldebogen ist wahrscheinlich der einzige
von 1474 ausgefüllten Bögen, der noch erhalten ist.
Sie dienten 1942 als Vorlage für eine Kommission der
NS-Euthanasie. Auf dieser Grundlage entschieden
Mediziner, Anstaltsleiter, Kriminalbiologen und Ver-
waltungsfachleute über Leben und Tod aller Insassen
des Arbeitshauses, insgesamt 499 Frauen und 975
Männer. 314 von ihnen wählten die NS-Gutachter
einstimmig zur Tötung aus.
Von Rudolf Kirsten existiert kein Foto. Die Angaben be-
ruhen auf archivalischen Quellen. 1946 wurde seine
Anerkennung als NS-Opfer zurückgezogen, da er
„kriminell“ geworden sei. Außerdem belegte er eine
angegebene Inhaftierung nicht. Er starb mit Anfang
dreißig in Berlin.

[rechte Spalte]
Rudolf Kirsten
1915 – 1948

[Abbildung]
I grew up at Kottbusser Tor in Kreuz-
berg, where I lived with my Mum. I
took on casual work. I never had any
training. At the age of twenty, I was
admitted to Rummelsburg Workhouse
on probation for the first time. In 1940,
I was put in the Protestant Hoffnungs-
thaler Anstalten Lobethal, near Bernau,
and later sent back to Rummelsburg. I
wanted to return to Lobethal, because
I found the conditions in Rummelsburg
much worse. I wrote to Pastor Braune,
the director at Lobethal, but he rejected
my request: said I’d ran away to often.
But I only ever went to my Mum’s place
in Berlin. It was only when my Mum
died after the war they took me in
at Lobethal again. (according to a case file)

The only reason Kirsten’s name was known was be-
cause it was on a registration form for Gemeinschafts-
fremde (aliens to the community), probably the only
one of 1,474 sheets that still exists. On this basis, doctors,
criminal biologists and administration experts passed
decisions on the life and death of all the inmates at the
workhouse: a total of 499 women and 975 men. Of
these, 314 were unanimously selected by Nazi experts
for extermination.
There is no photograph of Rudolf Kirsten. The informa-
tion is based on archival sources. From 1946 on, he
was no longer recognised as a Nazi victim because he
had ostensibly been ‘a criminal’. Furthermore, he failed
to provide any information about his assumed impris-
onment. He probably knew nothing about the question-
naire. He died in his early thirtees in Berlin.

Die Stele gehört zu einer Dreiergruppe zusammen mit den Stelen für August Rake und Karl Spiewok an der Friedrich-Jacobs-Promenade in Höhe des Hauses Karl-Wilker-Straße 10. In ihrem oberen Teil befindet sich ein verschwommenes Foto eines Männerkopfes.
In der rechten Spalte ist über dem Fließtext der Meldebogen für Rudolf Kirsten mit folgender Bildunterschrift abgebildet:
Meldebogen für „Gemeinschaftsfremde“, 1942
Registration form for Gemeinschaftsfremde
(Aliens to the Community), 1942

 

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